5. Kapitel. Die Lehre vom Preis § 1

Carl Menger: Grundsätze der Volkswirtschaftslehre

§ 1 Die Preisbildung beim isolierten Tausche

Die Untersuchung zur Etablierung einer Theorie des Preises geht gemäß der bisherigen Methode vor: Sie beginnt „mit der Beobachtung der einfachsten Erscheinungsform der Preisbildung“, und schreitet „allmählich zu den komplizierteren Erscheinungsformen derselben“ fort. Die einfachste Form der Preisbildung geschieht beim isolierten Tausch „zwischen zwei wirtschaftenden Subjekten, ohne die Einflussnahme der ökonomischen Tätigkeit anderer Personen“. Hier liegen somit die Grundlagen eines ökonomischen Gütertausches für lediglich zwei wirtschaftende Subjekte vor.

Der isolierte Tausch „ist in den Anfängen der Kulturentwicklung die gewöhnlichste Form des menschlichen Verkehrs, behält seine Bedeutung auch späterhin in dünn bevölkerten Landstrichen bei schwach entwickelter Kultur und ist selbst unter fortgeschrittenen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht völlig ausgeschlossen, denn wir können ihn auch bei hochentwickelter Volkswirtschaft überall dort beobachten, wo ein Austausch von Gütern stattfindet, welche einen auf zwei wirtschaftende Individuen beschränkten Wert haben“.

Die Güterquantitäten, die beim ökonomischen Tausch gegeneinander hingegeben werden, sind ... durch die jeweilig gegebene ökonomische Sachlage genau determiniert.

Die Bedingungen, die den Tausch ermöglichen, bestimmen die Grenzen der Preisbildung

Wie das vorige Kapitel gezeigt hat, besteht die Möglichkeit zum Tausch, wenn für ein wirtschaftendes Subjekt (A) die eigenen Güter von geringerem Wert sind, als die Güter eines anderen wirtschaftenden Subjekts (B), während gleichzeitig bei B „das umgekehrte Verhältnis der Wertschätzung“ vorliegt. Daraus ergibt sich „eine streng gezogene Grenze, innerhalb welcher die Preisbildung in jedem gegebenen Falle erfolgen muss.“

Die subjektiven Äquivalente für die beiden tauschenden Subjekte sind die Grenzen der Preisbildung

Ein Beispiel: Das Subjekt A hat Getreide. Für A haben 100 Maß seines Getreides einen ebenso großen Wert, wie 40 Maß Wein. Für A sind damit 40 Maß Wein ein Äquivalent im subjektiven Sinn gegenüber 100 Maß seines Getreides. Folglich wird A sein Getreide nur dann gegen 40 Maß Wein eintauschen, wenn er dafür weniger als 100 Maß Getreide hergeben muss. Mit anderen Worten: Der Preis für 40 Maß Wein muss weniger als 100 Maß Getreide betragen, andernfalls würde A durch den Tausch für seine Bedürfnisse nicht besser vorsorgen.

Die Grundlagen für einen ökonomischen Tausch liegen somit erst dann vor, wenn A ein weiteres wirtschaftendes Subjekt findet, das Wein besitzt, und für das 100 Maß Getreide von höherer Bedeutung sind, als 40 Maß Wein. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn für das wirtschaftende Subjekt B 80 Maß Getreide einen ebenso hohen Wert haben wie 40 Maß Wein. Damit entsteht eine zweite Grenze für die Preisbildung, die sich aus der ökonomischen Sachlage von B ergibt: Ihm muss für seine 40 Maß Wein eine größere Quantität Getreide als 80 Maß geboten werden.

Folglich wird der Preis für 40 Maß Wein bei einem Tausch zwischen A und B mehr als 80, aber weniger als 100 Maß Getreide betragen.

Der Preis tendiert zum natürlichen Mittelpunkt (Durchschnitt) zwischen den beiden Grenzen seiner Bildung

Beide Seiten werden sich aber bemühen, den größtmöglichen ökonomischen Nutzen aus dem Tausch zu ziehen. Das führt in der Praxis zum Feilschen: Beide Tauschenden versuchen, „einen möglichst großen Anteil an dem bei Ausbeutung dieser Tauschgelegenheit sich ergebenden ökonomischen Nutzen zu erlangen“.

Das Resultat dieses Preiskampfes wird „je nach der verschiedenen Individualität der Tauschenden, ihrer größeren, oder geringeren Kenntnis des Geschäftslebens und der Lage des anderen Kontrahenten … bald mehr zu Gunsten des einen, bald mehr zu Gunsten des andern ausfallen“. Sofern sich aber beide in denselben ökonomischen Verhältnissen befinden und gleich tüchtig sind, kann man die allgemeine Regel aufstellen, „dass das Bestreben beider Kontrahenten, einen möglichst großen ökonomischen Vorteil zu erzielen, sich gegenseitig paralysieren wird, und demnach auch die Preise von den beiden Extremen, innerhalb welcher sie sich bilden können, gleich weit entfernt bleiben werden.“ Im konkreten Fall wird der Preis für 40 Maß Wein demnach am Ende 90 Maß Getreide betragen, also dem Durchschnitt zwischen 80 und 100 Maß.

Zwei allgemeine Regeln des isolierten Tausches

Somit folgt: Wo Grundlagen für einen ökonomischen Austausch zwischen zwei wirtschaftenden Subjekten rücksichtlich zweier Güter bestehen, „sind durch die Natur des Verhältnisses selbst bestimmte Grenzen gegeben, innerhalb welcher die Preisbildung erfolgen muss … . Diese Grenzen sind durch die verschiedenen Quantitäten der Tauschgüter gegeben, welche für die beiden Kontrahenten Äquivalente sind (Äquivalente im subjektiven Sinne.)“

Innerhalb dieser Grenzen tendiert die Preisbildung gegen den Durchschnitt der beiden Äquivalente. Abweichungen von diesem natürlichen Mittelpunkt können durch individuelle oder sonstige in den äußeren Verhältnissen begründete Momente zustande kommen, allerdings bleiben sie immer innerhalb der genannten Grenzen, da die Tauschoperationen andernfalls ihren ökonomischen Charakter einbüßen würden.

Fazit: „Die Güterquantitäten, die beim ökonomischen Tausch gegeneinander hingegeben werden, sind demnach durch die jeweilig gegebene ökonomische Sachlage genau determiniert“.

Kurz-Zusammenfassung:

  • Die Untersuchung beginnt auch hier „mit der Beobachtung der einfachsten Erscheinungsform der Preisbildung“, und schreitet „allmählich zu den komplizierteren Erscheinungsformen derselben“ fort. Die einfachste Form der Preisbildung geschieht beim isolierten Tausch.
  • Sobald die Bedingungen für einen Tausch bestehen (siehe voriges Kapitel), legen die subjektiven Äquivalente für die beiden tauschenden Subjekte die Grenzen der Preisbildung fest. (Beispiel: Für A haben 100 Maß seines Getreides einen ebenso großen Wert wie 40 Maß neuer Wein. Für B haben 40 Maß seines Weins einen ebenso hohen Wert wie 80 Maß neues Getreide. Folglich wird der Preis für 40 Maß Wein mehr als 80, aber weniger als 100 Maß Getreide betragen.)
  • Der Preis tendiert zum natürlichen Mittelpunkt (Durchschnitt) zwischen den Grenzen seiner Bildung, weil beide Seiten den größtmöglichen ökonomischen Nutzen aus dem Tausch ziehen wollen und sich dadurch gegenseitig paralysieren. (Im konkreten Beispiel wird der Preis für 40 Maß Wein demnach 90 Maß Getreide betragen.)
  • Somit bestehen zwei allgemeine Regeln des isolierten Tausches: Erstens legen die verschiedenen Güterquantitäten, die für die beiden Tauschenden subjektive Äquivalente sind, die Grenzen des Preises fest. Zweitens tendiert die Preisbildung innerhalb dieser Grenzen gegen den Durchschnitt der beiden Äquivalente.

Carl Mengers „Grundsätze“ wurden erstmals 1871 beim Braumüller Verlag veröffentlicht. Später erschienen sie als erster Band von Mengers „Gesammelten Werken“ beim Mohr Siebeck Verlag. Heute ist Mengers Erstlingswerk im Internet frei zugänglich, unter anderem beim Liberty Fund und beim Mises Institute.

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