2. Kapitel. Die Wirtschaft und die wirtschaftlichen Güter (Zweiter Teil)

Carl Menger: Grundsätze der Volkswirtschaftslehre

Die Menschen verfügen über Güterquantitäten (Konsum- und Produktionsmittel) zur Deckung ihres Bedarfs. Bisher wurde gezeigt, wie sowohl die einzelnen Individuen, als auch die Bewohner ganzer Länder ihren Bedarf für kommende Zeiträume ermitteln, und beurteilen können, inwieweit ihre verfügbaren Gütermengen diesen Bedarf decken.

Im Folgenden wird dargelegt, wie die Menschen auf dieser Grundlage „die ihnen verfügbaren Güterquantitäten … der möglichst vollständigen Befriedigung ihrer Bedürfnisse zuführen“.

Zwischen Bedarf und verfügbarer Quantität an Gütern bestehen drei mögliche Verhältnisse:

  1. der Bedarf ist größer als die verfügbare Güterquantität (ökonomische Güter)
  2. der Bedarf ist geringer als die verfügbare Quantität (nicht ökonomische Güter)
  3. Bedarf und verfügbare Quantität decken sich.

Wirtschaftliche Güter und der Ursprung der Wirtschaft

Das erste Verhältnis besteht bei den meisten Gütern, ob Luxusgegenstände, Wohnräume, Nahrungsmittel, oder sogar Steine und Abfälle. Güter, deren Menge geringer ist als der Bedarf nach ihnen (d.i. knappe Güter), nennen wir wirtschaftliche Güter, denn: Um mit ihnen die eigenen Bedürfnisse vollständig zu befriedigen, ist der Mensch dazu genötigt, wirtschaftlich zu handeln. Solche wirtschaftliche Tätigkeiten in ihrer Gesamtheit bilden die Wirtschaft des Menschen.

Sobald der Mensch die Verfügung über ein wirtschaftliches Gut verliert, kann er ein Bedürfnis, das er vorher noch befrieden konnte, nun nicht mehr befriedigen.

Das Verhältnis zwischen Bedarf und Quantität ist es, das den Menschen im Umgang mit wirtschaftlichen Gütern zu wirtschaftlichem Handeln zwingt. Dieses Verhältnis hat mehrere Konsequenzen: Sobald der Mensch die Verfügung über ein wirtschaftliches Gut verliert, kann er ein Bedürfnis, das er vorher noch befrieden konnte, nun nicht mehr befriedigen. Dasselbe tritt ein, wenn das wirtschaftliche Gut die nützliche Eigenschaft, dank der es ein menschliches Bedürfnis befriedigen kann, verliert.

Die Einsicht in beide Umstände bestimmt das Handeln und die Vorsorge des Menschen im Umgang mit wirtschaftlichen Gütern. Vorsorgliches, wirtschaftliches Handeln dient somit zunächst zwei Zwecken:

  • der Erhaltung jeder Teilquantität jedes wirtschaftlichen Guts;
  • der Erhaltung der nützlichen Eigenschaften jedes wirtschaftlichen Guts.

Doch es kommen noch zwei weitere Zwecke hinzu: In weiterer Folge werden sich die Menschen nämlich bewusst, dass ein Teil ihrer Bedürfnisse nach ökonomischen Gütern unbefriedigt bleiben wird, weshalb jede unzweckmäßige Verwendung solcher Güter notwendigerweise zur Folge hat, dass sie einen weiteren Teil ihrer Bedürfnisse nicht mehr mit ihnen befriedigen können. Das bedeutet:

  • Die Menschen wählen zwischen den wichtigeren Bedürfnissen, die sie mit jenen Güterquantitäten befriedigen, und jenen, die sie unbefriedigt lassen;
  • Die Menschen bemühen sich mit allen verfügbaren Konsum- und Produktionsmitteln am zweckmäßigsten ihre Bedürfnisse zu befriedigen: Mit einer bestimmten Menge an wirtschaftlichen Gütern versuchen sie den größtmöglichen Erfolg zu erzielen, oder einen bestimmten Erfolg mit einer möglichst geringen Menge.

Wirtschaft ist die Gesamtheit der menschlichen Tätigkeiten, die auf diese vier Zwecke gerichtet ist.

Entstehung und praktische Notwendigkeit des Privateigentums

Das bisher Gesagte gilt sowohl für das isolierte Individuum, als auch für die Gesellschaft als Ganze, wie auch immer sie organisiert ist. Wenn aber Menschen ihre Interessen nicht nur als Individuen, sondern als Glieder der Gesellschaft verfolgen, dann können sie unmöglich mit wirtschaftlichen Gütern die Bedürfnisse aller Individuen befriedigen; „vielmehr ist nichts sicherer, als dass die Bedürfnisse eines Teiles der Mitglieder dieser Gesellschaft nicht, oder doch nur in unvollständiger Weise zur Befriedigung gelangen werden.“

Die Besitzer von ökonomischen Gütern müssen durch die Gesellschaft vor Gewaltakten geschützt werden.

Wirtschaft und Privateigentum haben denselben Ursprung: die Knappheit von Gütern. Das Eigentum ist folglich „keine willkürliche Erfindung, sondern vielmehr die einzig mögliche praktische Lösung jenes Problems, das uns die Natur der Dinge … aufdrängt.“ Das Eigentum ist also auch untrennbar von der menschlichen Wirtschaft.

Um das Eigentum aufzuheben, müsste man entweder die Menge ökonomischer Güter so weit vergrößern, dass der Bedarf jedes Gesellschaftsmitglieds vollständig gedeckt ist, oder die Bedürfnisse der Menschen so weit verringern, dass die bestehende Menge an ökonomischen Gütern ihren Bedarf vollständig deckt. Wenn keines von beiden erreicht wird, könnte eine neue soziale Ordnung höchstens bewirken, dass die ökonomischen Güter ihren Besitzer wechseln, der dann aber ebenfalls beschützt wird. Niemals aber könnte sie das Eigentum aufheben, niemals könnte sie etwas daran ändern, dass der Bedarf einiger Gesellschaftsmitglieder nur ungenügend gedeckt ist.

Die nicht-ökonomischen Güter und der Kommunismus

Wenn der Bedarf der Menschen an einem Gut geringer ist als dessen verfügbare Quantität, können die Menschen nicht die gesamte ihnen verfügbare Menge dieser Güter zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse aufbrauchen.

Ein Beispiel: Ein Gebirgsbach fließt an einem Dorf vorbei. Gewöhnlich fließen 200.000 Eimer pro Tag am Dorf vorbei, wenn der Schnee auf dem Berg schmilzt und bei Regengüssen sind es 300.000 Eimer, in Trockenzeiten 100.000 Eimer. Der Bedarf der Bewohner am Wasser des Flusses (als Trink- wie als Nutzwasser) beträgt insgesamt nur 200, höchstens 300 Eimer am Tag. Ihrem höchsten Tagesbedarf von 300 Eimern stehen daher mindestens 100.000 Eimer gegenüber. Somit können die Dorfbewohner die verfügbare Quantität an Wasser nur teilweise zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse aufbrauchen. Selbst wenn Teile des Flusses verloren gehen oder ihre Nützlichkeit einbüßen, wird dadurch die Befriedigung der Bedürfnisse der Dorfbewohner nicht beeinträchtigt, vorausgesetzt das Verhältnis zwischen Menge und Bedarf bleibt bestehen.

Die vier Zielsetzungen ökonomischen Handelns fallen bei nicht ökonomischen Gütern weg.

Güter wie der Gebirgsbach sind nicht ökonomische Güter und kein Objekt der menschlichen Wirtschaft. Die vier oben aufgezählten Zielsetzungen ökonomischen Handelns fallen bei ihnen weg:

Die wirtschaftenden Menschen müssen bei nicht ökonomischen Gütern (1) weder „jede Teilquantität derselben in ihrer Verfügung … erhalten“, noch (2) diese in ihren nützlichen Eigenschaften erhalten. Ebenso sinnlos ist es (3), wenn die Menschen bei ihrer Verwendung zwischen jenen Bedürfnissen wählen, die sie befriedigen wollen, und jenen, die sie unbefriedigt lassen. Die Menschen haben (4) auch keinen Zwang, „mit jeder gegebenen Quantität dieser Güter, einen möglichst großen Erfolg, und jeden gegebenen Erfolg mit einer möglichst geringen Quantität derselben“ zu erzielen.

Dieses Verhältnis zwischen Bedarf und Menge hat ebenfalls soziale Folgen für die Gesellschaft. Im Gegensatz zu ökonomischen Gütern liegt hier „für kein Individuum die praktische Nötigung vor, sich eine für die Deckung seines Bedarfes ausreichende Teilquantität sicherzustellen“. Jedes Individuum weiß: Selbst wenn alle anderen Gesellschaftsmitglieder ihren Bedarf an diesen Gütern vollständig decken, bleibt noch immer mehr als genug zur Befriedigung der eigenen Bedürfnisse übrig. Diese Güter sind „kein Gegenstand des Eigentumswillens der Menschen“, niemand hat die Veranlassung, sie ausschließlich für sich selbst zu sichern. Bei allen nicht ökonomischen Gütern besteht Communismus, „denn die Menschen sind Communisten überall, wo dies mit Rücksicht auf die vorhandenen natürlichen Grundlagen möglich ist.“ Das betrifft z.B. die Luft zum Atmen oder das Licht, das in die Wohnung fällt.

Hier geht es zum nächsten Abschnitt des zweiten Kapitels. 

Kurz-Zusammenfassung: 

  • Güter, deren Menge geringer ist als der Bedarf nach ihnen (d.i. knappe Güter), sind wirtschaftliche Güter.
  • Sobald der Mensch die Verfügung über ein wirtschaftliches Gut verliert, kann er ein Bedürfnis, das er eben noch befriedigen konnte, nun nicht mehr befriedigen.
  • Die Menschen können nicht alle ihre Bedürfnisse nach ökonomischen Gütern befriedigen. Dessen werden sie sich nach und nach bewusst.
  • Aus diesen Gründen ist der Mensch gezwungen mit ökonomischen Gütern wirtschaftlich zu handeln.
  • Die Gesamtheit dieser wirtschaftlichen Tätigkeiten bildet die Wirtschaft des Menschen.
  • Das Handeln und die Vorsorge des Menschen im Umgang mit wirtschaftlichen Gütern verfolgt vier Zwecke:
    1. die Erhaltung jeder Teilquantität jedes wirtschaftlichen Guts;
    2. die Erhaltung der nützlichen Eigenschaften jedes wirtschaftlichen Guts;
    3. die Festlegung, welches die wichtigeren Bedürfnisse sind, die mit den verfügbaren wirtschaftlichen Gütern befriedigt werden, und welche Bedürfnisse weniger wichtig sind und daher unbefriedigt bleiben;
    4. das Bemühen um die zweckmäßigste Befriedigung aller Bedürfnisse. d.h. mit jeder Menge an wirtschaftlichen Gütern soll der größtmögliche Erfolg erzielt werden bzw. ein bestimmter Erfolg mit einer möglichst geringen Menge.
  • Bei nicht ökonomischen Gütern, deren verfügbare Menge größer ist als der Bedarf der Menschen an ihnen, fallen diese vier Zielsetzungen ökonomischen Handelns weg.
  • Das bisher Gesagte gilt für den Einzelnen ebenso wie für die Gesellschaft als Ganze.
  • Weil wirtschaftliche Güter knapp sind, ist der Bedarf eines Teils der Gesellschaft an ihnen entweder nicht oder nur unvollständig gedeckt.
  • Daher müssen die Besitzer ökonomischer Güter vor Gewaltakten geschützt werden. In dieser Notwendigkeit liegt der ökonomische Ursprung des Besitzschutzes und damit des Privateigentums.
  • Wirtschaft und Privateigentum haben denselben Ursprung: die Knappheit von Gütern.
  • Ohne Privateigentum gibt es keine menschliche Wirtschaft.
  • Um das Privateigentum aufzuheben, müsste der Bedarf jedes Gesellschaftsmitglieds an Gütern vollständig gedeckt sein (entweder durch Vergrößerung der Menge ökonomischer Güter, oder durch Verringerung der menschlichen Bedürfnisse nach ihnen)
  • Ist das nicht der Fall, kann eine neue soziale Ordnung nur die bestehenden Besitzverhältnisse ändern, ohne dabei das Eigentum abzuschaffen und den Bedarf aller Gesellschaftsmitglieder zu decken.
  • Nur bei nicht ökonomischen Gütern besteht Kommunismus, denn niemand hat die Veranlassung, solche Güter für sich zu sichern.

Carl Mengers „Grundsätze“ wurden erstmals 1871 beim Braumüller Verlag veröffentlicht. Später erschienen sie als erster Band von Mengers „Gesammelten Werken“ beim Mohr Siebeck Verlag. Heute ist Mengers Erstlingswerk im Internet frei zugänglich, unter anderem beim Liberty Fund und beim Mises Institute.

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