Die Verfügung über ein ökonomisches Gut ist für den Menschen von Bedeutung für seine Bedürfnisbefriedigung; diese Bedeutung nennen wir den Wert des Gutes
Bisher zeigte sich: Ökonomische Güter sind knapp, und nicht im Überfluss vorhanden (siehe voriges Kapitel). Von der Verfügung über eine praktisch relevante Menge wirtschaftlicher Güter hängt die Befriedigung zumindest eines menschlichen Bedürfnisses ab. Folglich geht der Verlust einer Teilmenge wirtschaftlicher Güter (also auch nur eines einzigen wirtschaftlichen Gutes) immer zulasten zumindest einer Bedürfnisbefriedigung.
Werden sich die Menschen dessen bewusst – erkennen sie also den Zusammenhang zwischen dem Verfügen über ein wirtschaftliches Gut und der Befriedigung eines ihrer Bedürfnisse – so erlangen diese Wirtschaftsgüter für sie eine Bedeutung. Wenn die Menschen aber erkennen, dass ökonomische Güter auch eine Bedeutung für ihr Leben und ihre Wohlfahrt haben, erlangen diese Güter für sie auch einen Wert. Die Bedeutung eines Gutes nennen wir seinen Wert. Der Wert eines Gutes bezeichnet also die Bedeutung, die dieses Gut für Leben und Wohlfahrt bestimmter Menschen hat. [Anm. d. Red.: Menger verwendet an späteren Stellen vereinzelt auch den Begriff „Wichtigkeit“ synonym für „Bedeutung“.]
Der Wert ist nichts den Gütern Anhaftendes, keine Eigenschaft derselben, eben so wenig aber auch ein selbständiges, für sich bestehendes Ding.
Der ökonomische Charakter eines Gutes und sein Wert entspringen somit aus derselben Quelle, nämlich der Erkenntnis eines bestimmten Verhältnisses zwischen Bedarf und Gütermenge. Insofern diese Erkenntnis also unsere vorsorgliche Tätigkeit anregt, werden diese Güter zu Gegenständen unserer Wirtschaft, sprich: ökonomischen Gütern. Insofern diese Erkenntnis uns die Bedeutung bewusst macht, die das Verfügen über jede Teilquantität dieser ökonomischen Güter für unsere Bedürfnisbefriedigungen hat, entspringt daraus ihr Wert. Durch ein- und dieselbe Erkenntnis werden Güter somit erstens zu wirtschaftlichen Gütern, und erlangen zweitens für uns Wert.
Nur ökonomische Güter haben einen Wert
Nicht ökonomische Güter können keinen Wert für uns erlangen, denn von der Verfügung über sie hängt keine unserer Bedürfnisbefriedigungen ab. Selbst wenn solche Güter ihre Güterqualität verlieren (siehe erstes Kapitel), wird dadurch die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse nicht gefährdet. Dass nicht ökonomische Güter keinen Wert – d. i. keine Bedeutung für uns – haben, zeigen zwei Beispiele:
- Einem Bewohner eines Urwalds stehen hunderttausende Baumstämme zur Verfügung, sein jährlicher Holzbedarf umfasst aber nur 20 Baumstämme. „Von der Verfügung über einen einzelnen Baumstamm hängt demnach … die Befriedigung keines seiner Bedürfnisse ab und hat ein solcher für ihn deshalb auch keinen Wert.“ Selbst ein Waldbrand, der 1000 Baumstämme vernichtet, schädigt den Bewohner in der Befriedigung seiner Bedürfnisse nicht. (Entscheidend ist: Das Quantitätenverhältnis zwischen Gütermenge und Bedürfnisbefriedigung bleibt aufrecht.) Befinden sich im Urwald hingegen noch zehn wilde Obstbäume, deren verfügbare Baumfrüchte nicht den Bedarf des Einsiedlers decken, so erleidet dieser mit jedem Verlust eines Obstbaums noch mehr Hunger oder kann zumindest seine Bedürfnisse nach den Baumfrüchten weniger vollständig befriedigen. Jeder Obstbaum hat somit einen Wert für den Waldbewohner, weil er von Bedeutung für dessen Leben und Wohlfahrt ist.
- Dorfbewohner benötigen täglich tausend Eimer Wasser zur Deckung ihres Bedarfs. Ihr Fluss liefert jeden Tag 100.000 Eimer Wasser. Eine Teilquantität dieses Flusses – z.B. ein Eimer – hat für die Dorfbewohner keinen Wert, denn sie können ihr Bedürfnis nach Wasser auch ohne diese Teilmenge weiterhin vollständig befriedigen. Folglich lassen die Bewohner täglich tausende Eimer in das Meer fließen. Falls aber eine Dürre die Wassermenge des Flusses auf 500 Eimer täglich senkt, haben die Bewohner ohne andere Bezugsquelle keine ausreichende Menge mehr zur Deckung ihres Bedarfs an Wasser. Von nun an geht jeder weitere Verlust des Wassers zulasten weiterer Bedürfnisbefriedigungen der Bewohner. Das Ergebnis: „jeder konkrete Teil dieser ihnen verfügbaren Quantität würde dann allerdings für sie Wert haben.“
Nicht ökonomische Güter besitzen weder Tausch- noch Gebrauchswert
Tauschwert und Gebrauchswert sind Unterbegriffe des Wert-Begriffs. Was über den Wert gesagt wurde, gilt somit auch für sie: Nicht ökonomische Güter haben weder Tausch- noch Gebrauchswert.
Sämtliche Ökonomen schreiben den nicht ökonomischen Gütern ebenfalls keinen Tauschwert zu, fälschlicherweise aber einen Gebrauchswert.
Nützlichkeit ist kein Gebrauchswert, sondern Bedingung der Güterqualität
Einige Ökonomen begehen auch den Irrtum, den Begriff des Gebrauchswertes durch den der Nützlichkeit zu ersetzen. Die (erkannte) Nützlichkeit eines Gutes ist aber nur Bedingung von dessen Güterqualität (siehe Kapitel 1) und meint „die Tauglichkeit eines Dinges, der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse zu dienen“. Das gilt auch für nicht ökonomische (also nicht knappe) Güter, denn auch diese sind nützlich. Somit ist die Erkenntnis der Nützlichkeit Bedingung der Güterqualität jedes Dings, ob ökonomisch oder nicht. Ob dies Ding nicht nur nützlich, sondern auch ökonomisch und ein Wert für uns ist, hängt vom Quantitätenverhältnis ab, denn dieses allein entscheidet darüber, ob die Befriedigung unserer Bedürfnisse von unserer Verfügung über dieses Gut abhängt oder nicht.
Der Irrtum der Volkswirtschaft blieb in der Praxis folgenlos. Noch nie ist jemand auf die Idee gekommen, einem Kubikfuß Luft – obwohl sehr nützlich – einen Wert beizulegen.
Der Wert der Güter für uns ist nichts Willkürliches
Der Wert eines Gutes liegt für uns kurz gesagt darin, „dass die Verfügung darüber für uns die Bedeutung einer Bedürfnisbefriedigung hat“, die ohne unsere Verfügung über dieses Gut nicht gesichert wäre.
Der Güterwert ist somit keine Gütereigenschaft, gleichzeitig aber auch nichts Willkürliches, denn er gründet in einem Verhältnis zwischen Gütermenge und Bedürfnisbefriedigung: Niemals könnte man ein Gut für wertlos erklären, wissend, dass von der Verfügung über es die Befriedigung eines unserer Bedürfnisse abhängt, oder umgekehrt, es für wertvoll erklären, obwohl keine Bedürfnisbefriedigung von ihm abhängt.
Der Güterwert ist daher zwingende Folge der Erkenntnis der Bedeutung von Gütern für unser Leben oder unsere Wohlfahrt. Natürlich kann die Entstehung der Bedürfnisse teilweise von unserem Willen und unserer Gewöhnung abhängen. Sobald aber die Bedürfnisse da sind, ist der Wert der Güter für uns nichts Willkürliches mehr.
Es gibt eingebildete Güterwerte
Die Menschen können sich wie bei jeder Erkenntnis im Hinblick auf den Wert eines Gutes irren. Es gibt eingebildete Werte, ebenso wie es eingebildete Güter gibt.
Mit dem Wechsel des Verhältnisses des Gutes zu unseren Bedürfnissen entsteht oder vergeht der Güterwert
Da der Güterwert nichts den Gütern Anhaftendes ist, sondern ausschließlich im Verhältnis der Gütermenge zu unserem Bedürfnis begründet ist, entsteht und vergeht der Güterwert auch mit dem Wechsel dieses Verhältnisses. Solange etwa die Quelle einer Oase den Wasserbedarf der Bewohner vollauf deckt, hat eine bestimmte Menge dieser Quelle für die Bewohner keinen Wert (also keine Bedeutung für ihr Leben und ihre Wohlfahrt). Dies ändert sich, wenn ein Erdbeben den Wasserreichtum der Oase so stark verringert, dass dieser nicht mehr die Bedürfnisse der Bewohner ausreichend befriedigen kann. Die gleiche Folge tritt ein, wenn sich die Zahl der Bewohner der Oase stark erhöht. Ein solcher Wechsel kann auch in regelmäßigen Abständen und zu bestimmten Zeiten eintreten, wenn von Zeit zu Zeit Karawanen die Oase besuchen.
Der Güterwert ist ein Urteil des Menschen und daher nichts objektiv Vorhandenes
Die Gütermengen sind objektiv vorhanden, ebenso ist ihr Verhältnis zu unseren Bedürfnissen gegeben. Das gilt jedoch nicht für den Wert. Auch wenn er in diesem vorhandenen Verhältnis gründet, ist er dennoch nicht objektiv da. Er ist etwas von den Dingen „wesentlich Verschiedenes“, denn er existiert nur im Bewusstsein der wirtschaftenden Menschen. Der Wert ist ein Urteil der wirtschaftenden Menschen über die Bedeutung, die ihre Verfügung über ein Ding für die Aufrechterhaltung ihres Lebens bzw. ihrer Wohlfahrt hat.
Es zeigt sich: Der Güterwert ist nichts Willkürliches, weil er in objektiv vorhandenen Gegebenheiten gründet. Vorhanden ist er aber nur im Urteil des Menschen, denn dieses Urteil ist gleichzeitig die Bedeutung, die der Mensch der Verfügung über jene Güter beimisst.
Man sieht: „Der Wert ist … nichts den Gütern Anhaftendes, keine Eigenschaft derselben, eben so wenig aber auch ein selbständiges, für sich bestehendes Ding.“
Kurz-Zusammenfassung:
- Wirtschaftliche Güter sind knapp: der Verlust einer Teilmenge geht zulasten zumindest einer Bedürfnisbefriedigung.
- Werden sich die Menschen dessen bewusst, erlangen diese Wirtschaftsgüter für sie eine Bedeutung und damit einen Wert.
- Der Wert eines Gutes bezeichnet seine (erkannte) Bedeutung für Leben und Wohlfahrt bestimmter Menschen.
- Nicht-ökonomische Güter erlangen keinen Wert für uns, denn von der Verfügung über sie hängt keine unserer Bedürfnisbefriedigungen ab.
- Wert und ökonomischer Charakter eines Gutes entspringen beide aus der Erkenntnis eines Verhältnisses zwischen Bedarf und Gütermenge. Insofern diese Erkenntnis unsere vorsorgliche Tätigkeit anregt, werden durch sie diese Güter zu ökonomischen Gütern, insofern sie uns deren Bedeutung bewusst macht, entspringt aus ihr deren Wert.
- Wert und ökonomischer Charakter sind nicht mit Nützlichkeit zu verwechseln: Die (erkannte) Nützlichkeit eines Gutes ist Bedingung von dessen Güterqualität (siehe Kapitel 1) und meint seine Tauglichkeit, Bedürfnisse zu befriedigen. Das tun auch nicht-ökonomische Güter.
- Der Güterwert gründet in einem Quantitätenverhältnis, daher ist er weder eine Gütereigenschaft, noch etwas Willkürliches: Man kann nicht ein Gut für wertvoll erklären, wissend, dass keine Bedürfnisbefriedigung von ihm abhängt.
- Die Menschen können sich bei der Erkenntnis des Güterwertes irren – es gibt eingebildete Werte.
- Der Güterwert entsteht und vergeht mit dem Verhältnis zwischen Menge und Bedürfnissen.
- Der Wert gründet in einem objektiv vorhandenen Verhältnis, ist aber selbst ein Urteil des wirtschaftenden Menschen und existiert somit nur im Bewusstsein und nicht als für sich bestehendes Ding.
Carl Mengers „Grundsätze“ wurden erstmals 1871 beim Braumüller Verlag veröffentlicht. Später erschienen sie als erster Band von Mengers „Gesammelten Werken“ beim Mohr Siebeck Verlag. Heute ist Mengers Erstlingswerk im Internet frei zugänglich, unter anderem beim Liberty Fund und beim Mises Institute.