Um die Forderung nach Abschaffung des Bargeldes ist es in den letzten Monaten etwas ruhiger geworden. Doch der Schein trügt. Man kann davon ausgehen, dass hinter den Kulissen nicht wenige Politiker, Handelsunternehmer und Banker die Abschaffung des Bargeldes vorbereiten. Sie versprechen uns mehr Sicherheit und mehr Komfort. Doch könnten die Konsequenzen gerade für die Sicherheit, ganz besonders aber für unsere Freiheit gravierend sein.
Als mein Koautor Ulrich Horstmann und ich uns Ende 2014 an die Arbeit für unser Buch „Bargeldverbot“ machten, wurde das Thema von vielen noch als esoterisch betrachtet. Als es im Juni 2015 erschien, hatte sich wenig an dieser Einschätzung geändert. Auslöser für unser Buch war ein Vortrag des bekannten US-Ökonomen Kenneth Rogoff an der Ludwig-Maximilians-Universität München, den er auf Einladung vom damaligen ifo-Präsidenten Hans-Werner Sinn hielt und der mit einer Preisverleihung verbunden war. Rogoff sprach sich sehr nachdrücklich für die Abschaffung des Bargeldes aus.
Mittlerweile ist seine Position als „Der Fluch des Geldes“ auch in Buchform in deutscher Sprache nachzulesen:
Die Debatte um das Bargeld hat seit Mitte 2015 deutlich Fahrt aufgenommen. War beim Erscheinen unseres Buches „Bargeldverbot“ im Juni 2015 für viele ein Verschwinden von Scheinen und Münzen noch unvorstellbar, so hat sich bei sehr vielen Zeitgenossen mittlerweile das Bewusstsein für die Aktualität und Bedeutung dieses menschheitsverändernden „Krieges gegen das Bargeld“ entwickelt. Erfreulicherweise finden Initiativen für das Bargeld Zuspruch, so konnte die im deutschsprachigen Raum wohl verbreitetste Initiative „stop-bargeldverbot.de“ bis Ende 2016 bereits fast 170.000 Unterstützer finden. Das ist sicher auch der mittlerweile beschlossenen Ausphasung der 500-Euro-Scheine sowie der geplanten EU-weiten Obergrenze von 5.000 Euro für zulässige Bargeldzahlungen geschuldet.
Neue Dimensionen des „Krieges gegen das Bargeld“
Und Ende 2016 wurde auch deutlich, dass der „war on cash“ auch eine internationale Dimension hat, also weit über die OECD-Länder hinausgeht:
Im November 2016 hat die indische Regierung alle Bargeldnoten im Wert von mehr als 100 indischen Rupien (ca. 1,40 Euro) für ungültig erklärt. „Um uns aus dem Griff von Korruption und Schwarzgeld zu befreien, haben wir entschieden, dass die aktuellen 500- und 1000-Rupien-Noten nicht mehr gültig sind“, begründete Premierminister Narendra Modi die Überraschungsaktion. Per Twitter verkündet er, dass durch die Geldentwertung jeder einzelne Staatsbürger zum Soldaten im Kampf gegen Korruption und Schwarzgeld geworden sei.
Und das finden trotz der Proteste der Opposition nicht wenige Inder sogar gut. Doch stürzt diese auch rechtlich umstrittene „Demonetisierung“, die ihre Vorbilder in vergleichbaren Aktionen 1946 und 1978 hat, die indische Wirtschaft ins Chaos und viele gerade ärmere Menschen ohne elektronische Zahlungsmöglichkeiten in noch tiefere Not. Lange Schlangen vor den Banken bilden sich, um die ungültigen Scheine auf Konten einzuzahlen. Zumal viele Inder über gar kein Bankkonto verfügen. Wegen der Turbulenzen werden Wachstumsverluste befürchtet.
„Um die Banken, wo bis Ende des Jahres die alten Noten umgetauscht werden können, ist ein neues Dienstleistungsangebot entstanden. Wohlhabende Inder lassen andere für sich anstehen, um die lange Wartezeit zu verkürzen. Wie belastend diese sein kann, zeigt, dass bereits Dutzende von Personen beim Schlangestehen vor einer Bank an Schlaganfällen oder Herzinfarkten gestorben sind“, schreibt die Neue Zürcher Zeitung. Auch bleibt die Zielstellung der Bekämpfung von Schattenwirtschaft und Korruption fragwürdig, wenn in Zukunft sogar neue 2000-Rupien-Scheine ausgegeben werden sollen, also doppelt so hoch wie der bisherige größte Schein. Mengenmäßig soll es innerhalb der gesamten Geldmenge allerdings eine Verschiebung von Bar- zu Buchgeld geben. Am ehesten könnte durch diese Aktion noch die (Zwangs-)Digitalisierung Indiens („Digital India“) vorangetrieben werden, ein Lieblingsprojekt von Modi.
Ein anderes Land hat Mitte Dezember 2016 ebenfalls Aufsehen erregt: Venezuelas Regierung erklärte den größten Geldschein (100 Bolivar) für ungültig, bevor größere Scheine – das Land leidet unter einer Hyperinflation – verfügbar waren. Dieser Schritt wurde nach gewaltsamen Protesten jedoch rückgängig gemacht.
Diese beiden Entwicklungen außerhalb der OECD sind guter Anlass, sich mit den wichtigsten Argumenten für den Fortbestand des Bargeldes auseinanderzusetzen:
1. Bargeld ist gelebter Datenschutz
„Bargeld ist gelebter Datenschutz“, so Klaus Müller, der Chef des deutschen Bundesverbandes der Verbraucherzentralen. Denn der beste Datenschutz ist, wenn Daten gar nicht erst entstehen. Bargeld ermöglicht anonymes Zahlen und ist somit ein Abwehrinstrument gegen einen total(itär)en Überwachungsstaat, der George Orwells düstere Szenarien in „1984“ und „Farm der Tiere“ noch übertreffen würde. Der „Gläserne Zahler“ wäre im neuen Zeitalter von „NSA megaplus“ sicher kein freier Mensch mit informationeller Selbstbestimmung mehr. Benjamin Franklin, einem der Gründerväter der USA (dessen Konterfei übrigens eine 100-Dollar-Note ziert) wird folgendes Zitat sinngemäß zugeschrieben: „Wer Freiheit für Sicherheit aufgibt, wird beides verlieren.“ Es lohnt sich hier auch ein Blick in das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung Kapitel 13. Viele Zeitgenossen haben mit ihrer „Ich habe doch nichts zu verbergen“-Mentalität die Tragweite nicht annähernd erfasst.
Nun mögen manche einwenden: Naja, aber Kriminalität, Steuerhinterziehung, Schwarzarbeit und Terrorismus sollen doch verhindert oder zumindest erschwert werden. Das hätte eben seinen Preis. In Teilen mag das stimmen.
So brächte Handtaschendiebstahl dann nur noch Lippenstifte, aber kein Bargeld mehr. Irgendwann erkennt das auch der Taschendieb und gibt auf, oder sucht sich eine neue Kriminalitätsform. Insgesamt aber entspricht der Verweis auf die mögliche kriminelle Verwendung von Bargeld der Logik, auch Essbesteck zu verbieten, um so Gewalttaten zu verhindern. Für den Haushalt, der seiner ansonsten regulär beschäftigten Putzhilfe zu Weihnachten eine Anerkennungsprämie in bar zukommen lassen will, wird das ebenfalls unmöglich. Dass aber die Mafia und Terroristen wegen des fehlenden Bargelds aufgeben, darf wohl bezweifelt werden. Der auf Schatten- und Untergrundwirtschaft spezialisierte Linzer Ökonom Friedrich Schneider rechnet selbst bei einem totalen Bargeldverbot nur mit einem geringen Rückgang solcher krimineller Aktivitäten.
2. Bargeld schützt vor Negativzinsen
Bargeld hat eine Schutzfunktion gegen Negativzinsen, die eine Art „Konsumverweigerungssteuer“ darstellen. Werden Guthabenzinsen ins Minus gedrückt, können Haushalte und Unternehmen ihre Guthaben bar halten und sich so dieser Belastung entziehen statt zu ihrer Vermeidung gezwungenermaßen zu konsumieren und investieren. Der Bargeldgegner Kenneth Rogoff kann sich Negativzinsen bis zu sechs Prozent vorstellen!
Das wäre eine besonders durchschlagende Version der „Finanziellen Repression“, also der Entreicherung von Sparern. Zudem ließen sich „per Knopfdruck“ Vermögensabgaben schnell und überraschend durchführen, denen man sich nicht mehr durch Bargeldhaltung zumindest teilweise entziehen könnte. Die Durchsetzer von Negativzinsen werden Haushalte so zu „ferngesteuerten Konsumtrotteln“ degradieren und Unternehmen zu Investitionen anreizen, die diese unter normalen Bedingungen eines positiven Zinses nicht vornehmen würden.
Außerdem: Nullzinsen und erst recht Negativzinsen ließen die Verschuldungsfähigkeit von Staaten ins Unendliche steigen – das kann man sich nicht wünschen. Negativzinsen sind ein Frontalangriff auf das Eigentumsrecht und eine gute Sparkultur, die für langfristiges, investitionsbasiertes Wachstum erforderlich sind.
Übrigens: Wer sich jetzt vielleicht denkt, Negativzinsen seien doch gar nicht so schlecht – man nimmt einen Kredit auf, erhält dafür von der Bank Zinsen, die Kreditsumme von z.B. zehn Millionen Euro legt man auf ein Konto und von den Negativzinsen in der Höhe von 200.000 Euro (bei zwei Prozent jährlich) lebt es sich doch wirklich gut – der täuscht sich, so wird das nicht laufen. Denn die Negativzinsen, die man der Bank für die Anlage der Kreditsumme zu zahlen hat, werden mindestens so hoch sein wie die Kreditzinsen, weil ansonsten die Banken pleitegehen. Es kann auch gar nicht anders sein, sonst käme es zum sofortigen Zusammenbruch der Wirtschaft – die Bäcker zum Beispiel würden ihre Arbeit einstellen, weil sie von den Negativzinsen leben wollten. Dies zeigt auch den ökonomischen Widersinn von Negativzinsen. Sie bringen nur dem ausgabefreudigen Staat als für gewöhnlich größtem Schuldner etwas – er hat keine Guthaben in der Höhe seiner Schulden – sowie investierenden Unternehmen und Immobilieninvestoren. Da drohen dann natürlich Fehlinvestitionen und Blasen.
3. Bargeld zwingt zu mehr Solidität
Eine von den Befürwortern der Bargeldabschaffung in der Regel nicht genannte, aber sie sicher treibende Begründung ist die Verhinderung von Bankruns (dt. „Schaltersturm“ oder „Bankensturm“), die durch die unverändert andauernde Finanz- und Staatsschuldenkrise immer noch entstehen können: Viele Menschen heben wegen Vertrauensverlust in das Finanzsystem ihre Guthaben ab – im Sommer 2015 konnte man das in Griechenland erleben. Ein solches Misstrauensvotum wäre für diese Interessengemeinschaft aus (Groß-)Banken, Politik und Europäischer Zentralbank (EZB) sehr unerwünscht. Die „Scheinnormalität“ wäre dahin.
Ohne Bargeld könnte es einen solchen Bankrun nicht mehr geben. Die einschlägigen Fehlentwicklungen im Geld- und Finanzsystem sowie bei den aus dem Ruder gelaufenen Staatsfinanzen ließen sich noch besser und noch länger verschleiern.
Das Problem dabei ist: Ohne das Damoklesschwert eines Bankruns würde das schon aus der „Eurorettung“ bekannte „Trio Eurofernale“ aus Großbanken, Politik und EZB noch weniger Rücksicht auf Solidität des eigenen Handelns legen müssen.
Schließlich: Auch private Haushalte sind bei Käufen mit Bargeld vorsichtiger als beim elektronischen Zahlen, weil Geld nicht physisch durch die Hände rinnt, ein psychologisch wichtiges Moment. Vermutlich würde in einer bargeldlosen Welt auch die Verschuldung privater Haushalte ansteigen. Außerdem: Wie sollen kleine Kinder ohne Scheine und Münzen den verantwortungsvollen Umgang mit Geld erlernen?
4. Bargeldlosigkeit verschafft Finanzdienstleistern leichte Gewinne
Wenn erst einmal der Konkurrent Bargeld erledigt ist, können die Anbieter von bargeldlosem Zahlen, die sich dann auch zusammenschließen oder absprechen können, ihre Gewinnmargen zu Lasten der Kunden steigern. So äußerte sich auch der Chef der Münze Österreich, Gerhard Starsich, in einem Interview. Er sieht „hinter der aktuellen Debatte rund um eine mögliche Abschaffung des 500-Euro-Scheins sowie generelle Obergrenzen für Zahlungen mit Bargeld die Interessen der Plastikkartenfirmen. Auch die Banken hätten ein natürliches Interesse daran, dass alle Zahlungen über ihre Konten liefen.“
Die Münze Österreich ist eine Tochter der Österreichischen Nationalbank und prägt Münzen.
5. Bargeld hat eine Sicherheitsfunktion in Krisenfällen
Selbst wenn das Bargeld schon abgeschafft wäre, gäbe es einen triftigen Grund, es wieder einzuführen. Bargeld schützt bei Hackerangriffen und ist selbst vor diesen geschützt – das Buchgeld auf Girokonten nicht. Zahlreiche Hackerangriffe bzw. IT-Pannen bei Banken im Jahr 2016 bestätigen dies.
Wie in Marc Elsbergs Roman „Blackout – Morgen ist es zu spät“ sehr eindrücklich beschrieben, leben wir im Zeitalter von möglichen Cyberwar-Angriffen auf das Stromnetz und das Internet. Bargeld erlaubt auch bei einem mehrtägigen Stromausfall, zumindest die noch in den Läden befindlichen Waren halbwegs ordnungsgemäß zu verkaufen. In einem solchen Szenario bräche ohne Bargeld noch früher Panik aus.
Fazit: Bei Bargeld geht es um unsere Freiheit und Sicherheit
Im „Krieg gegen das Bargeld“ werden also ökonomische wie nicht-ökonomische Gründe auf die Argumentationsschlachtfelder geführt. Die ökonomischen Gründe entfielen bei Einführung eines besseren Geldsystems (z.B. Währungswettbewerb nach Nobelpreisträger Friedrich-August von Hayek statt staatliches Zwangsgeld) und solider staatlicher Haushaltsführung statt Schuldenorgien. Die nicht-ökonomischen Gründe sind ein Frontalangriff auf die „informationelle Selbstbestimmung“ des Individuums und lösen berechtigterweise Ängste vor total(itär)er Überwachung aus.
Hans-Jürgen Papier, Ex-Präsident des deutschen Bundesverfassungsgerichts, sieht Beschränkungen von Bargeldzahlungen als verfassungswidrig an: „Dies wären nicht gerechtfertigte Eingriffe in Freiheitsrechte, nämlich in die Vertragsfreiheit und Privatautonomie“ (faz.net 8.2.16).
Ob sich die Überzeugungskraft und innere Logik dieser Argumente gegen die massiven Interessen der Bargeldgegner durchsetzen werden, wird die Zukunft weisen.
Die Deutsche Bundesbank steht zum Bargeld. Aber ihre Bedenken zum Euro wurden in den 90er Jahren von der Politik letztlich auch zielorientiert überhört. Wird es diesmal anders sein?
Bei der Frage des Bargeldes geht es um viel mehr als bedruckte Baumwolle im Portemonnaie. Sie ist im Rahmen der Digitalisierung unserer gesamten Lebenswelt das große Freiheitsthema!
Dieser Beitrag ist die erweiterte und aktualisierte Fassung eines im Juni 2016 unter dem Titel „Warum die Vision einer bargeldlosen Welt eine Horrorvision ist“ bei Focus online erschienenen Artikels.
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