Von jeher war „Freiheit und Eigentum“ der Ruf des internationalen Liberalismus. Und seit eh und je stellt diese Verbindung keine Selbstverständlichkeit dar. Der Ruf „Eigentum ist Diebstahl“ und die Ansicht, daß privates Eigentum der Feind der Freiheit sei, sind heute immer noch beliebt.[1]
Das Privateigentum als Feind der Freiheit: J.-J. Rousseau und H. Laski
Jean-Jacques Rousseau schrieb bereits im 18. Jahrhundert die oft zitierten Worte: „Der erste, welcher ein Stück Landes umzäunte, es sich in den Sinn kommen ließ zu sagen: Dieses ist mein, und einfältige Leute fand, die es ihm glaubten, der war der wahre Stifter der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wieviel Elend und Greuel hätte der dem Menschengeschlecht erspart, der die Pfähle herausgerissen, den Graben zugeschüttet und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: »Glaubt diesem Betrüger nicht; ihr seid verloren, wenn ihr vergeßt, daß die Früchte allen gehören, der Boden aber niemandem!«“[2] Für Rousseau stellt der ursprüngliche Diebstahl von Grund und Boden den Ursprung für die Ungleichheit unter den Menschen dar. Es handelt sich um eine Ungleichheit, die mit der Entwicklung des seßhaften Ackerbaus vor ungefähr 10.000 Jahren, die auch die Erste Wirtschaftliche Revolution genannt wird,[3] entsteht und die auf die Ungleichheit in der Eigentums- oder Vermögensverteilung abhebt. Wenn nun Eigentum der Feind der Freiheit ist und wenn große Freiheit nur ohne großes Eigentum möglich sein sollte, dann bildet diese Ungleichheit zu Recht den bevorzugten Angriffspunkt auf die Verfassung der bürgerlich-liberalen Gesellschaft.
Mit Blick auf die Neuzeit hebt Harold J. Laski auf der einen Seite die Verdienste des Liberalismus hervor, wenn er ausführt, daß das liberal gesonnene Bürgertum in seinem Kampf um die volle Beteiligung an der Staatsgewalt jene überlieferten Schranken durchbrochen hatte, die in allen Bereichen des menschlichen Lebens sichergestellt hatten, daß Privilegien vom jeweiligen Stand abhängig waren und daß Rechte mit dem Besitz von Land gekoppelt zu sein hätten.[4] Der Liberalismus sei ein Feind der Privilegien gewesen.[5] Der Liberalismus habe die Freiheit jedes Individuums schützen wollen, und dazu gehörte das Recht für jedermann, Eigentum zu erwerben und akkumulieren zu dürfen. Auf der anderen Seite kritisiert Laski jedoch, daß die liberale Praxis aufgrund der engen Verknüpfung von Eigentum und Freiheit nur den mit Eigentum ausgestatteten Individuen Vorteile gebracht hätte,[6] – heute würde man sagen, den Besserverdienenden zum Vorteil gereichte. Obwohl der Liberalismus in direkter Beziehung zur Freiheit stand, hätte er aufgrund der Eigentumsorientierung in der Praxis keinen universellen Geltungsanspruch entwickeln können. So stand und in der Besserverdienenden-Sichtweise steht das Eigentum der allgemeinen Freiheit, der gleichen Freiheit für alle, im Wege.
Privateigentum als Voraussetzung von Freiheit: F. A. von Hayek
Mit genau entgegengesetzter Perspektive argumentiert Friedrich August von Hayek. Für Hayek ist Eigentum „die einzige von der Menschheit bisher entdeckte Lösung des Problems, individuelle Freiheit mit der Vermeidung von Konflikten zu vereinbaren.“[7] Unter individueller oder persönlicher Freiheit versteht Hayek einen Zustand, in dem ein Mensch nicht dem willkürlichen Zwang durch den Willen eines anderen oder anderer unterworfen ist, also Freiheit als Unabhängigkeit von der Willkür anderer.[8] Willkürlicher Zwang kann nur ausgeübt werden, wenn derjenige, der Zwang ausüben will, die grundlegenden Bedingungen für das Handeln der anderen in seiner Gewalt hat. Verhindert werden kann daher willkürlicher Zwang und geschützt wird die persönliche Freiheit durch die Ermöglichung und Sicherung eines privaten Bereichs, der es nicht zuläßt, daß grundlegende Bedingungen für das Handeln der einzelnen Menschen in die Gewalt anderer fallen.[9] Zu diesem privaten Bereich gehört nach Hayek die Anerkennung von Privat- oder Sondereigentum als eine wesentliche, jedoch nicht als einzige Bedingung für die Verhinderung von Zwang.[10] Die Anerkennung von Eigentum sei jedoch der erste Schritt zur Bestimmung des vor Zwang schützenden privaten Bereichs, und Hayek zitiert Lord Acton und Sir Henry Maine, wenn er ausführt, daß „einem Volk, das Eigentum nicht anerkennt, die ersten Voraussetzungen der Freiheit mangeln“ (Acton) und daß „niemand das Sondereigentum angreifen darf und gleichzeitig behaupten, daß er die Zivilisation schätzt. Die Geschichte dieser beiden ist nicht zu trennen.“ (Maine).[11]
Aus der Gegenüberstellung der Positionen von Laski und Hayek läßt sich unschwer ablesen, daß jeweils von unterschiedlichen Freiheitsbegriffen aus argumentiert wird, weshalb Laski und Hayek auch in bezug auf die Ungleicheit in der Eigentums- oder Vermögensverteilung zu unterschiedlichen Bewertungen gelangen.[12] Es ist deshalb sinnvoll und notwendig, den Streit zwischen den Losungen „Freiheit und Eigentum“ und „Eigentum ist Diebstahl“, welcher als Streit um das Verhältnis von „Freiheit und Gleichheit“ geführt und auf dem Kampfplatz der ungleichen Vermögensverteilung ausgefochten wird, von den Freiheitsbegriffen her aufzurollen.
Freiheit als Vielheit von Handlungsmöglichkeiten und die Forderung nach Umverteilung
Hinter der Kritik von Laski steht ein Freiheitsbegriff, den man als Freiheit im Sinne eines Bereichs oder einer Anzahl von Möglichkeiten bezeichnen kann. Wer mehr Möglichkeiten zu handeln hat, ist nach diesem Freiheitsverständnis freier als andere mit weniger Handlungsmöglichkeiten. Gleiche Freiheit für alle (allgemeine Freiheit) ist in dieser Sichtweise notwendigerweise von gleichen materiellen Bedingungen abhängig. So kritisiert Laski, daß beispielsweise Vertragsfreiheit nie wirklich frei sei, solange die vertragschließenden Parteien nicht die gleiche Verhandlungsmacht hätten, wobei die gleiche Verhandlungsmacht notwendigerweise von gleichen materiellen Bedingungen abhängig sei.[13] In diesem Freiheitsverständnis ist das Verhältnis von Freiheit und Gleichheit so angelegt, daß gleiche Freiheit für alle nur bei sozialer Gleichheit ein reales Fundament erhält. Die Forderung nach Umverteilung von Einkommen und Vermögen zum Zwecke einer Einkommens- und Vermögensnivellierung ist damit logisch notwendig, wenn man eine freiheitliche Ordnung auf diesem Feiheitsverständnis errichten will.
Betrachten wir die Konsequenzen dieses Freiheitsverständnisses anhand eines einfachen Beispiels: Angenommen ein Gemeinwesen besteht aus 2 Personen A und B, die von Natur aus mit identischen Fähigkeiten und Fertigkeiten ausgestattet sind und die beide jeweils ein Vermögen von 100 Einheiten besitzen. In diesem Ausgangszustand zum Zeitpunkt t(0) haben beide annahmegemäß die gleichen materiellen Möglichkeiten, auf deren Betrachtung wir uns beschränken können, da ja beide von Natur aus mit identischen Fähigkeiten und Fertigkeiten ausgestattet sein sollen. In diesem Ausgangszustand herrscht im Sinne der Bedeutung „Freiheit als Möglichkeiten“ ein Zustand allgemeiner, weil gleicher Freiheit.
Die Person A entscheidet sich nun in t(0), ihr Vermögen vollständig in alkoholausschenkenden Gaststätten und Etablissements zweifelhaften Rufs auszugeben,[14] so daß ihr Vermögen zu Beginn der Periode t(1) auf 0 Einheiten geschrumpft ist. Person B hat sich in t(0) entschieden, nur 10 Einheiten in den erwähnten Gaststätten auszugeben und 90 Einheiten so anzulegen, so daß B zu Beginn von t(1) wieder ein Vermögen von 100 Einheiten zur Verfügung hat. Zu Beginn von t(1) herrscht aber nun kein Zustand allgemeiner, weil gleicher Freiheit im Sinne von gleichen Handlungsmöglichkeiten, da die Handlungsmöglichkeiten von A geringer sind als die von B. In einem Gemeinwesen, welches auf allgemeiner Freiheit im Sinne von gleichen Handlungsmöglichkeiten als unbedingtem Wert aufbaut, muß aber Möglichkeitsgleichheit hergestellt werden, wenn der unbedingte Wert Freiheit verwirklicht werden soll. Das heißt, es werden von B 50 Einheiten Vermögen zu A umverteilt. Ein Zustand allgemeiner Freiheit ist wieder hergestellt.
Letztlich besteht diese Sicherstellung gleicher Möglichkeiten darin, daß zu Beginn jeder Periode alle Vermögensgegenstände innerhalb dieses Gemeinwesens in einen gemeinschaftlichen Fonds eingebracht werden müssen, der anschließend an alle Mitglieder des Gemeinwesens zu gleichen Anteilen ausgeschüttet wird, so daß zu Beginn jeder Periode eine gleiche Anfangsverteilung existiert. Das Ergebnis lautet: Eigentum im Sinne der umfassendsten Herrschaft über eine Sache unter Einschluß des Ausschlußprinzips, also der Berechtigung andere von der Nutzung dieser Sache auszuschließen,[15] existiert in einem Gemeinwesen, in dem Freiheit als Möglichkeiten definiert wird und das auf gleicher Freiheit für alle gegründet ist, nicht. Um mit Rousseau zu reden, jeder, der aus welchen Gründen auch immer Vermögensgegenstände „umzäunte, es sich in den Sinn kommen lassen würde zu sagen: Dieses ist mein“ usw., um dieses Vermögen der Einbeziehung in den gemeinschaftlichen Fonds oder der direkten Umverteilung zu entziehen, wäre ein Dieb und ein Betrüger: „Glaubt diesem Betrüger nicht; ihr seid verloren, wenn ihr vergeßt, daß die Früchte allen gehören, der Boden aber niemandem!“[16] Das Bild von Rousseau geht unter dem betrachteten Freiheitsbegriff wunderbar auf. B hat nur 10 Einheiten seiner Anfangsausstattung konsumiert und 90 Einheiten so angelegt, daß er zu Beginn der Periode t(1) wieder 100 Einheiten besitzt. Sein Ertrag von 10 Einheiten gehört aber offensichtlich allen. Dürfte er ihn behalten, so müßte er in der Periode t(1) zumindest 10 Einheiten mehr zur Verfügung haben als der A. Damit hätte er aber mehr Freiheit im Sinne von mehr Möglichkeiten. Eigentum darf deshalb nicht existieren, da sonst keine allgemeine Freiheit im Sinne von Möglichkeitsgleichheit hergestellt werden könnte. Eigentum ist der Feind dieser Freiheit.
Wie sich die Modellsituation zu Beginn von t(2) darstellen wird, wenn A und B wieder entsprechend ihren Präferenzen aus der Vorperiode handeln, ist jedem unmittelbar einsichtig: A ist zu Beginn der Periode t(2) wieder bei 0 Einheiten Vermögen, Handlungsmöglichkeiten und Freiheit. B hat hingegen 50 Einheiten Vermögen, Handlungsmöglichkeiten und damit Freiheit zur Verfügung. Es herrscht kein Zustand allgemeiner, weil gleicher Freiheit. Wenn allgemeiner Freiheit im Sinne von Möglichkeitsgleichheit unbedingte Geltung verschafft werden soll, hat B 25 Einheiten abzutreten usw., bis zu Beginn der Periode t(¥) die beiden Personen A und B beide bei näherungsweise 0 Einheiten Vermögen, Handlungsmöglichkeiten und Freiheit angekommen sind. Der Möglichkeitsraum sinkt über die Perioden kontinuierlich. Diese Entwicklung könnte man als konsequente Selbstvernichtung der Freiheit im Sinne von Möglichkeiten bezeichnen.
Falls – bei Aufrechterhaltung des unbedingten Wertes der Möglichkeitsgleichheit und daraus folgend der Ablehnung von Eigentum – diese Selbstvernichtung der Freiheit im Sinne von Möglichkeiten verhindert werden soll, verbleibt letztlich nur eine Lösung: Der A muß gezwungen werden, nicht nach seinen eigenen Präferenzen, Plänen oder Absichten zu handeln und zu leben.
Die Alternative: Individuelle Freiheit als Freiheit von Zwang
Der Freiheitsbegriff, von dem Friedrich August von Hayek ausgeht, ist der der individuellen oder persönlichen Freiheit. Dieser Freiheitsbegriff kennzeichnet immer eine Beziehung von Menschen zu Menschen, weshalb der einzige Eingriff in diese Freiheit im Zwang durch andere Menschen besteht.[17] Hayek beschreibt individuelle Freiheit deshalb als einen Zustand, in dem ein Mensch nicht dem willkürlichen Zwang durch den Willen eines anderen oder anderer Menschen unterworfen ist, also Freiheit als Unabhängigkeit von der Willkür anderer.[18] Gemeint ist damit, daß jeder Mensch sein Handeln nach seinen eigenen Plänen und Absichten gestalten kann, daß er es auf Ziele richten kann, die er selbst anstrebt.[19] Ob ein Mensch frei ist oder nicht, hängt nach Hayek deshalb nicht von der Anzahl von Möglichkeiten ab, die ein Mensch hat, sondern davon, „ob er erwarten kann, den Lauf seiner Handlungen nach seinen gegenwärtigen Absichten zu gestalten, oder ob jemand anderer die Macht hat, die Umstände so zu modifizieren, daß er nach dem Willen des anderen und nicht nach seinem eigenen Willen handeln wird.“[20]
Dieser Freiheitsbegriff liegt Hayeks wichtigstem Betrachtungsgegenstand zugrunde: der freiheitlichen Gesellschaft, die Hayek auch als „Große Gesellschaft“ oder in Anlehnung an Karl R. Popper als „Offene Gesellschaft“ bezeichnet.[21] Um zu verstehen, warum für Hayek das Eigentum „die einzige von der Menschheit bisher entdeckte Lösung des Problems [ist], individuelle Freiheit mit der Vermeidung von Konflikten zu vereinbaren“,[22] ist es erforderlich, den Zusammenhang zwischen der konsequenten Anwendung von allgemeinen Regeln, ohne die freiheitliche Gesellschaften nicht entstehen und nicht fortbestehen können,[23] und dem Begriff der individuellen Freiheit zu verdeutlichen.
Wenn Freiheit als Unabhängigkeit von der Willkür anderer bedeutet, daß ein Mensch seine eigenen Ziele oder Zwecke verfolgen kann, und wenn in einer Gesellschaft ein Zustand allgemeiner, weil gleicher Freiheit existieren soll, dann ist niemand berechtigt, einem anderen Ziele und Zwecke zu setzen und den anderen auf die Verfolgung dieser Ziele gegen seinen Willen zu verpflichten. In einer freien Gesellschaft besteht das Gemeinwohl nach Hayek deshalb prinzipiell darin, die Verfolgung unbekannter individueller Zwecke zu ermöglichen.[24] Das Gemeinwohl besteht damit in dem, was wir einen Zustand allgemeiner Freiheit genannt haben, der gleichen Freiheit für alle. Im Unterschied zur geschlossenen Gesellschaft[25] kennt die freie Gesellschaft keine gemeinsamen materialen Zwecke und ist insofern Selbstzweck, als daß ihr lediglich der formale Zweck der Ermöglichung allgemeiner Freiheit zugrunde liegt.[26] Wenn der Gesellschaft materiale Zwecke vorgegeben werden, nach denen sich jeder zu richten hat, dann ist kein Zustand allgemeiner Freiheit möglich, weil es nicht jedem Menschen möglich ist, seine eigenen Zwecke zu verfolgen, sondern er gezwungen wird, sich dem vorgegebenen materialen Zweck zu unterwerfen. Letzteres würde dazu führen, daß eine freie Gesellschaft, die Hayek auch als spontane Ordnung bezeichnet, den Charakter einer geplanten Organisation annimmt, was notwendigerweise als Weg in die Knechtschaft zu bezeichnen ist.[27]
Demzufolge müssen die Beziehungen zwischen den Menschen in einer freiheitlichen Gesellschaft durch Regeln des Rechts und der Moral gestaltet werden, die allgemeine Freiheit ermöglichen. Dieses ist nur möglich, wenn es sich um allgemeine und abstrakte Regeln handelt, die für alle im gleichen Maße unabhängig vom Bereich ihrer Möglichkeiten gelten und ohne Rücksichtnahme auf besondere Konsequenzen ihrer Anwendung im Einzelfall durchgesetzt werden. Die Ermöglichung allgemeiner individueller Freiheit im Sinne von Unabhängigkeit von der Willkür anderer beruht demnach auf der konsequenten Anwendung allgemeiner Regeln und auf dem Regelgehorsam als Kriterium für gerechtes Handeln.[28]
Nach Hayek sind es auch diese allgemeinen Regeln, „die die Bedingungen festsetzen, unter denen Gegenstände oder Umstände Teil des geschützten Bereichs einer Person werden,“[29] also als Eigentum zu bezeichnen sind. Die Anerkennung der allgemeinen Regeln ermögliche es jedem Mitglied einer Gesellschaft, den Umfang seines privaten Bereichs abzugrenzen, so daß jedermann zu erkennen vermag, was zu seinem Bereich gehöre und was nicht.[30] Durch Eigentum werde so das Problem gelöst, individuelle Freiheit mit der Vermeidung von Konflikten zu vereinbaren.
Bezüglich evtl. Verletzungen des geschützten Bereichs einer Person, die aus der Ungleichheit in der Vermögensverteilung folgen könnten, betont Hayek, „daß auch ein Mensch, der praktisch kein Eigentum besitzt (außer solchen Dingen wie Kleider – und sogar für diese gibt es Leihanstalten) völlige Freiheit genießen kann, und wir die Betreuung der materiellen Dinge, die unseren Bedürfnissen dienen, anderen überlassen können. Wichtig ist nur, daß der Besitz weit genug verstreut ist, so daß der Einzelne nicht von bestimmten Personen abhängig ist, die allein seinen Bedarf befriedigen oder allein ihn beschäftigen kann.“[31] Eigentums- oder Vermögensakkumulationen und eine ungleiche Vermögensverteilung haben also entgegen populären Vorurteilen auch im neoliberalen Paradigma Hayeks Grenzen.
Eigentum als Vorbedingung und Garant äußerer Freiheit gemäß Immanuel Kant
Mit der Skizzierung der beiden strikt zu trennenden Freiheitsbegriffe und ihrer Konsequenzen für die Beurteilung einer ungleichen Vermögensverteilung ist der Kampf zwischen den Losungen „Freiheit und Eigentum“ und „Eigentum ist Diebstahl“ aber noch nicht entschieden. Zwar läßt sich festhalten, daß innerhalb des Paradigmas „Freiheit als Möglichkeiten“ dann erhebliche Probleme entstehen, wenn der Grundsatz „Freiheit und Gleichheit“ nicht verletzt werden soll. Trotzdem kann aus diesen Selbstvernichtungsproblemen und aus einer etwaigen Verwerfung des Begriffs „Freiheit als Möglichkeiten“ nicht geschlossen werden, daß Rousseaus Diktum „daß die Früchte allen gehören, der Boden aber niemandem“ falsch ist. Es ist deshalb notwendig, eine Lücke innnerhalb der Hayek’schen Argumentation zu schließen, die meines Erachtens darin besteht, daß Hayek nicht klärt, warum ein äußerer Gegenstand überhaupt einer einzelnen Person gehören darf. Sollte nämlich – um mit dem Bild von Rousseau zu sprechen – der Boden niemandem gehören dürfen, dann steht der Boden auch auf der Basis des Begriffs „Freiheit als Unabhängigkeit von der Willkür anderer“ a priori nicht für Umzäunungen zum Zwecke der Abgrenzung von privaten Bereichen zur Verfügung. Man müßte sich dann nolens volens etwas anderes als Eigentum einfallen lassen, um zu verhindern, daß ein Zwingender die wesentlichen Bedingungen für das Handeln des anderen Menschen in seine Gewalt bekommt. Der Streit um die Losungen „Freiheit und Eigentum“ und „Eigentum ist Diebstahl“ kann deshalb nur durch die Beantwortung der Frage entschieden werden, ob Freiheit ohne die Existenz von Eigentum möglich ist.
Diese Frage führt unmittelbar zur Rechtslehre von Immanuel Kant.[32] Der Königsberger Philosoph unterscheidet zwischen dem angeborenen und dem erworbenen Recht, wobei das angeborene Recht „unabhängig von allem rechtlichen Akt […] jedermann von Natur zukommt.“ Für das erworbene Recht ist jedoch ein rechtlicher Akt notwendig.[33] Kant redet auch vom inneren und vom äußeren Mein und Dein, um diese Formen des Rechts zu unterscheiden, und führt dann aus, daß das angeborene Recht bzw. das innere Mein und Dein[34] nur ein einziges ist: „Freiheit (Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür), sofern sie mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen, kraft seiner Menschheit, zustehende Recht“[35] (Kursiv im Original gesperrt).
„Es ist möglich, einen jeden äußeren Gegenstand meiner Willkür als das Meine zu haben; d. i.: eine Maxime, nach welcher, wenn sie Gesetz würde, ein Gegenstand der Willkür … herrenlos (res nullius) werden müßte, ist rechtswidrig.“ (Immanuel Kant)
Daß das Eigentum im Sinne des äußeren Mein und Dein ein unabdingbarer Bestandteil jeder Rechtsordnung als einer a priori gültigen Freiheitsordnung ist[36], legt Kant durch einen zweistufigen Gedankengang dar.[37] Als erstes stellt er fest, daß das „Rechtlich-Meine (meum iuris) dasjenige“ ist, „womit ich so verbunden bin, daß der Gebrauch, den ein anderer ohne meine Einwilligung von ihm machen möchte, mich lädieren würde,“ wobei die „subjektive Bedingung der Möglichkeit des Gebrauchs überhaupt (…) der Besitz“ ist (Kursiv im Original gesperrt).[38] Etwas Äußeres kann aber nur dann das Meine sein, wenn der Begriff des Besitzes neben der unmittelbaren sinnlich-körperlichen Inhabung, dem physischen Besitz, auch den intelligiblen oder bloßrechtlichen Besitz von Gegenständen beinhaltet. Andernfalls könnte ich nämlich nicht behaupten, daß eine „ohne meine Einwilligung“ durchgeführte Nutzung meines Autos durch den Hausmeister des Walter-Eucken-Instituts „mich lädieren würde“. [Mein Auto steht gerade auf dem Parkplatz vor dem Walter-Eucken-Institut und befindet sich, während ich hier gerade diesen Text vortrage, nicht in meiner Inhabung. Ganz unabhängig von der Frage, ob ich mein Auto nach einer unerlaubten Nutzung durch den Hausmeister des Walter-Eucken-Instituts im unveränderten, unbeschädigten und neubetrankten Zustand genau in dem Moment selbst nutzen kann, in dem ich es möchte, wäre ich durch die unerlaubte Nutzung lädiert, weil mein Wille, andere von der Nutzung meines Autos auszuschließen, keine Beachtung gefunden hätte. Oder anders formuliert: Kants begriffliche Unterscheidung von physischem und intelligiblem Besitz liegt implizit dem Verfügungsrechtsbegriff zugrunde, der im Property-Rights-Ansatz der Neuen Institutionenökonomik von zentraler Bedeutung ist.]
Kant zeigt nun im zweiten und entscheidenen Schritt, daß die Möglichkeit, „jeden äußeren Gegenstand meiner Willkür als das Meine zu haben,“ eine Voraussetzung a priori der praktischen Vernunft ist.[39] Würde die Willkür „brauchbare Gegenstände außer aller Möglichkeit des Gebrauchs“ setzen, was im Bild von Rousseau heißt, daß der Boden niemandem gehören darf, dann „würde die Freiheit sich selbst des Gebrauchs ihrer Willkür in Ansehung eines Gegenstandes berauben.“[40] „Da nun die reine praktische Vernunft jedoch keine andere als formale Gesetze des Gebrauchs der Willkür zum Grunde legt, … so kann sie in Ansehung eines solchen Gegenstandes kein absolutes Verbot seines Gebrauchs enthalten, weil dieses ein Widerspruch der äußeren Freiheit mit sich selbst sein würde.“[41] Würde sie ein absolutes Verbot enthalten, dann führte dies zur vollständigen Vernichtung der Freiheit, da selbst der räumlich-zeitlich gebundene Gebrauch von äußeren Gegenständen, also auch der physische Besitz, untersagt werden müßte. Äußere Freiheit wäre unmöglich.
Der Ruf „Freiheit und Eigentum“ ist deshalb keine betrügerische Parole. Vielmehr wird die Freiheit durch den Ruf „Eigentum ist Diebstahl“ gänzlich um ihre äußere Existenz betrogen.
Dieser Artikel ist eine überarbeitete und ergänzte Fassung des gleichnamigen Beitrags, der ohne Fußnoten und Literaturangaben veröffentlicht wurde in: liberal. Vierteljahreshefte für Politik und Kultur, 3/1999, S. 9 – 14.
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Anmerkungen
[1] Vgl. Leisner (1996), S. 7 und S. 20.
[2] Rousseau (1755/1981), S. 93.
[3] Vgl. North (1988), S. 76 f.
[4] Vgl. Laski (1936/1985), S. 122.
[5] Vgl. Laski (1936/1985), S. 124.
[6] Vgl. Laski (1936/1985), S. 124 – 126.
[7] Hayek (1980), S. 148.
[8] Vgl. Hayek (1983), S. 13 – 15.
[9] Vgl. Hayek (1983), S. 168. Für die Sicherung des privaten Bereichs ist für Hayek ein Staat notwendig: „Die Sicherheit, daß bestimmte Umstände seiner Umgebung nicht von jemand anderem willkürlich geändert werden können, kann ihm (dem einzelnen Menschen/N. F. T.) nur von einer Behörde (also dem Staat/N. F. T.) gegeben werden, die die nötige Macht hat.“ Hayek (1983), S. 168. Der private Bereich steht bei Hayek also weniger dem Staat gegenüber, sondern wird vielmehr erst durch diesen ermöglicht. Zum Verhältnis von Privatheit und Staatlichkeit siehe auch Schachtschneider (1994), S. 166 ff., S. 374 ff., S. 386 ff.; und auch Baruzzi (1993), S.46: „Die römische Grunderfahrung beruht darin, daß res publica und res privata unterschieden werden und daß diese Unterscheidung den Menschen frei macht. Aus der Unterscheidung entsteht Freiheit…Aber wesentlich wird die Freiheit im öffentlichen Bereich…Aber zunächst ist festzuhalten, daß die eigentlich römische freimachende Tat darin liegt, daß die Bereiche unterschieden werden, daß das Leben sich für zwei Bereiche des Denkens und Handelns feimacht und freihält. Die ständige persönliche, aus voluntas kommende Handlung, Öffentliches und Privates als Bereiche zu unterscheiden, diese Unterscheidung ist die Schaffung, Eröffnung zu jeweils einem sich zu bestimmenden und damit freien Tun. Mit dieser Lebenssicht kann in beiden Bereichen frei gedacht und gehandelt werden.“
[10] Vgl. Hayek (1983), S. 169.
[11] Vgl. Hayek (1983), S. 169.
[12] Vgl. zur Eigentums- bzw. Vermögensverteilung auch Hayek (1983), S. 169 – 170.
[13] Vgl. Laski (1936/1985), S. 126.
[14] Hierbei wird davon ausgegangen, daß sich die alkoholausschenkenden Gaststätten und Etablissements zweifelhaften Rufs jenseits der Grenzen des betrachteten Gemeinwesens befinden.
[15] Vgl. hierzu Leisner (1996), S. 30 – 31: „Was «privates Eigentum» ist, das hat sich vor allem im westeuropäischen Verfassungs-Liberalismus seit der Fränzösischen Revolution von 1789 entfaltet… Im Mittelpunkt steht die Vorstellung von einem «freien Eigentum». § 903 BGB faßt dies mit den Worten zusammen: «Der Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen.» «Mit der Sache verfahren» – d. h., dem Eigentümer stehen alle Herrschaftsrechte über die Sache zu: das Recht des Besitzes, der Verwaltung, der Nutzung und der Verfügung über die Sache. Dies sind nur sozusagen «Aspekte» des Eigentums; sie gehören untrennbar zusammen, wird einer von ihnen wesentlich beeinträchtigt, so ist das Eigentum als solches verletzt… Nach der deutschen Tradition ist Eigentum wesentlich ein Ausschlußrecht gegenüber «anderen», vor allem auch gegenüber dem Staat.“
[16] Rousseau (1755/1981), S. 93.
[17] Vgl. Hayek (1983), S. 16.
[18] Vgl. Hayek (1983), S. 13 – 15.
[19] Vgl. Hayek (1983), S. 16 – 17.
[20] Hayek (1983), S. 17.
[21] Siehe hierzu vornehmlich den zweiten Band von Hayeks (1981a) „Recht, Gesetzgeung und Freiheit“ und auch Henkel (1996), S. 216 – 217.
[22] Hayek (1980), S. 148.
[23] Vgl. Henkel (1996), S. 216.
[24] Vgl. Hayek (1981a), S. 15 f.
[25] Vgl. Popper (1980), S. 233.
[26] Vgl. Henkel (1996), S. 216. Hayek verteidigt das formale Gemeinwohlziel auch mit dem Argument der konstitutionellen Unwissenheit des Menschen: „Tatsache ist jedoch, daß in einer Großen Gesellschaft, in der die Individuen frei sein sollen, ihr eigenes Wissen für ihre eigenen Zwecke zu verwenden, das Gemeinwohl, auf das eine Regierung abzielen sollte, nicht aus der Summe besonderer Bedürfnisbefriedigungen der verschiedenen Individuen bestehen kann, aus dem einfachen Grunde, weil weder diese Bedürfnisbefriedigungen noch alle Umstände, die sie bestimmen, der Regierung oder irgendjemandem sonst bekannt sein können.“ Hayek (1981a), S. 15, siehe auch Hayek (1981a), S. 23 – 28.
[27] Vgl. Henkel (1996), S. 217.
[28] Vgl. Henkel (1996), S. 217 – 218, der dort mehrere Textstellen von Hayek als Beleg zitiert.
[29] Hayek (1983), S. 169.
[30] Vgl. Hayek (1983), S. 169. An anderer Stelle schreibt Hayek mit Blick auf die Notwendigkeit allgemeiner Regeln: „Der Bereich der Handlungen, in dem jeder gegen Eingriffe anderer geschützt wird, kann durch gleichermaßen auf alle anwendbare Regeln nur dann bestimmt werden, wenn diese Regeln es ermöglichen festzustellen, über welche bestimmten Gegenstände jeder für seine Zwecke verfügen darf. Mit anderen Worten, es sind Regeln erforderlich, die es möglich machen, in jedem Augenblick die Grenze des geschützten Bereichs jedes Einzelnen festzustellen und auf diese Weise zwischen dem meum und dem tuum zu unterscheiden.“ Hayek (1980), S. 148.
[31] Vgl. Hayek (1983), S. 170.
[32] Notabene: Wenn im folgenden Kants Erlaubnisgesetz der praktischen Vernunft gegen Rousseaus Diktum „daß die Früchte allen gehören, der Boden aber niemandem“ in Stellung gebracht wird, so ist zu beachten, daß der alte Wirrkopf Rousseau von seinem harschen Urteil aus seiner „Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen“ abweicht, um in seinem „Gesellschaftsvertrag“ ein Eigentumsrecht zu vertreten, das auf dem ersten Blick an Lockes Arbeitseigentum zu erinnern scheint, aber letztlich doch gänzlich zur Disposition eines Souveräns steht, der bei Rousseau weder durch Naturrechtsprinzipien, den Willen Gottes, individuelle Grundrechte oder durch selbstgegebene Gesetze beschränkt ist. Vgl. hierzu Kersting (2002), S. 136 – 139. Obwohl Rousseau vom selben Freiheitsbegriff wie Kant (und später Hayek) ausgeht, gibt es bedeutende Unterschiede zwischen Kant und Rousseau, die meines Erachtens deshalb bestehen, weil Rousseau sich nicht fundiert mit den Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit beschäftigt hat. Auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Rousseau und Kant, insbesondere auf den nicht leicht zu erkennenden Unterschied zwischen der volonté générale Rousseaus und dem a priori vereinigten Willen Kants sowie dem Unterschied zwischen Rousseaus Republik des Guten und Kants Republik des Rechts kann hier nicht eingegangen werden. Siehe aber Kersting (2002), S. 117 f. und insb. Cassirer (1939/1991).
[33] Vgl. Kant (1797/1983), AB 44, S. 345.
[34] Das innere Mein und Dein oder das angeborene Recht darf unter keinen Umständen mit dem Begriff der inneren Freiheit (Willensfreiheit) verwechselt werden. Auch das angeborene Recht bezieht sich – wie alles Recht – auf die äußere Freiheit (Handlungsfreiheit). Der Zusammenhang zwischen innerer und äußerer Freiheit kann hier nicht erläutert werden. Wichtig ist jedoch, daß bei Kant die äußere (rechtliche) Freiheit durch die innere (sittliche) Freiheit fundiert wird; vgl. Krings (1986), Sp. 701. Zum Verhältnis von Recht und Moral bei Kant siehe Ebeling (1990) sowie Kersting (1993), S. 175 f.; Höffe (2001), S. 105 f.; Höffe (1995), S. 16 – 18.
[35] Kant (1797/1983), AB 45, S.345.
[36] Vgl. Höffe (1996), S. 219 – 220.
[37] Siehe auch Kühl (1984), S. 130 – 131.
[38] Vgl. Kant (1797/1983), AB 55, S. 353.
[39] Vgl. Kant (1797/1983), AB 56, S. 354.
[40] Vgl. Kant (1797/1983), AB 57, S. 354.
[41] Kant (1797/1983), AB 57, S. 354.