Chinas Aufstieg und seine Herausforderungen: Wie viele Hegemonen verträgt die Welt?

Selbstverständlich haben wir uns alle längst an die Tatsache einer immer wichtiger werdenden Teilnehmerin am Weltwirtschaftssystem gewöhnt, und wir sind uns alle auch der immer grösser werdenden politischen Bedeutung Chinas bewusst. Von der militärischen Aufrüstung wird Kenntnis genommen, wo solche Informationen auf Interesse stoßen, die gesellschaftlich-kulturelle Komponente des umfassenden Gesellschaftsmanagements mittels Big Data ist jedoch noch weitgehend unbekannt. Eine echte Wahrnehmungslücke besteht meines Erachtens aber in der Erkenntnis, wie konsistent der chinesische Machtaufbau erfolgt: nämlich in systematisch aufeinander abgestimmten Prozessen sowohl im wirtschaftlichen, im militärischen und politischen als auch im gesellschaftlich-kulturellen Bereich.

Auf- und Abstieg: eine konfliktträchtige Situation

Im Gegensatz zu den Versuchen der früheren Sowjetunion, mittels Warschauer Pakt und Comecon mit den USA gleichzuziehen, muss den chinesischen Anstrengungen attestiert werden, dass die Aussichten dazu ausgezeichnet stehen. Ja, es könnte sein, dass aus der besagten Konsistenz und der offenkundigen Schwäche der klassischen Industriestaaten, nämlich deren Fragmentierung und die den Zufälligkeiten demokratischer Willensbildung ausgesetzte Zusammensetzung der politischen Führungsgremien, eine Überlegenheit Chinas in eigentlich allen Belangen resultieren wird. Geschichtlich gesehen dürfte das nicht überraschen, denn zuvor war das während Jahrtausenden schon der Fall.

Renaissance, Aufklärung, Neuzeit und mithin westliche Überlegenheit als relativ kurzzeitige Ausnahme einer viel längeren Geschichte: Der Gedanke hat viel für sich. Auf die Praxis des individuellen oder auch unternehmerischen Lebens hinuntergebrochen, das heißt auf die nächsten fünf, vielleicht zehn Jahre bezogen, bedeutet es jedoch etwas anderes: Wir müssen uns damit abfinden, dass wir es mit einem zweiten, laufend mächtiger und bedeutender werdenden Hegemonen zu tun haben werden. Das atlantische Zeitalter mit der Vorherrschaft der USA ist zwar nach wie vor Tatsache und prägt unseren Alltag, beispielsweise in der Omnipräsenz des US-Dollars als einziger relevanter Weltwährung. Aber die chinesische Wirklichkeit gewinnt an Bedeutung.

Zwei Hegemonen nebeneinander. Und ein guter Teil der Welt, Afrika, halb Asien, Europa dazwischen. Das ist die Herausforderung. Das bedeutet keineswegs, dass zwingend kriegerische Auseinandersetzungen bevorstehen. Aber die Wahrnehmung der chinesischen Interessen ohne Waffengang kann man sich im südchinesischen Meer kaum vorstellen; die Situation ist gefährlich. Als insgesamt ebenso gefährlich muss allerdings auch die geringe militärische Beißhemmung des alten Hegemonen USA eingestuft werden. Mag sein, dass mit dem kontinuierlichen Machtverlust die Affinität zur Waffengewalt sogar noch zunimmt; möglich ist aber auch eine Rückbesinnung auf die engeren eigenen Interessen, wie sie schon die Monroe-Doktrin statuierte. Was gewiss ist: Die Phase des Abstiegs des einen und des Aufstiegs des anderen Hegemonen ist historisch betrachtet ungemein konfliktträchtig.

Weltwährungssystem vor Umbruch

Am Rande der nicht-kooperativen Handlungsvarianten verfügt der alte Hegemon dank seiner Weltwährung US-Dollar über ein während langer Zeit unterschätztes Machtinstrument. Da letztlich jede in Dollar denominierte Transaktion amerikanisches Territorium berühren muss beziehungsweise das amerikanische Bankensystem stets Teil der weltweiten Handelsaktivitäten ist, steht der US-Regierung ein komfortables Durchsetzungsmittel für politische Zwecke zur Verfügung. Es braucht nicht einmal direkt angewendet zu werden, sondern entfaltet seine Hauptwirkung bereits antizipatorisch: Die Androhung des Kappens von Bankverbindungen genügt bereits, um das internationale Bankensystem gefügig zu machen. Keine Bank, die es noch wagen würde, mit einer unbotmäßigen Bank (die zum Beispiel mit einer „Unperson“ wie Vekselberg, des Bürgers aus einem „Schurkenstaat“, Geschäfte tätigt) zusammenzuarbeiten. So lassen sich Sanktionen und andere Maßnahmen durchsetzen. Der Preis dafür ist allerdings eine enorme Verunsicherung im internationalen Handel.

China wird beginnen, seine Achillesferse der mangelnden Eigenständigkeit im internationalen Zahlungsverkehr zu beseitigen. Dies umso rascher, je hemmungsloser der alte Hegemon das Druckmittel anwendet. Der derzeitige Präsident scheint genau wie sein Vorgänger Gefallen an der extraterritorialen Anwendung seines Rechts zu haben. Man ist ja Hegemon… China wird versuchen, seine Währung in den Status einer Welthandelswährung zu erheben. Dies umso mehr, als der Euro diese Funktion nie mehr wird einnehmen können. Ob das bis im Jahr 2020 schon der Fall sein wird, wie das aus bestimmten Quellen hervorgeht, ist zu bezweifeln. Aber die große Veränderung im Weltwährungssystem wird kommen, das ist gewiss.

Was sind die Handlungsmöglichkeiten?

Zwei Hegemonen nebeneinander, der große Rest der Welt irgendwo dazwischen: Welche strategischen Möglichkeiten ergeben sich daraus?

  1. Eine bewusst stärkere Annäherung bestimmter Länder, allenfalls auch einzelner Unternehmungen, an die eine oder andere Seite. Nennen wir diese Variante „Unter die Fittiche Schlüpfen“.
  2. Die dezidierte und stolze Blockfreiheit, ohne selber aber die Mühe auf sich zu nehmen, auch noch Hegemon werden zu wollen. Dazu muss man genügend groß, autark und auch etwas mächtig sein, wie zum Beispiel Indien. Nennen wir diese Strategieoption „Indischer Stolz“.
  3. Den Versuch, selber zum Hegemon aufzusteigen. Europa könnte sich der Illusion dieser Möglichkeit hingeben, schlimmstenfalls sogar zusammen mit Russland oder der Türkei. Diese Strategievariante heißt für uns „Drei Sind Zuviel“.
  4. Das agile, möglichst neutrale Verhalten unter Ausnützung sich immer wieder neu ergebender Handlungsspielräume. Nennen wir diese Handlungsvariante doch „La Suisse Existe Toujours“…
  5. Der Versuch des großen Rests der Welt, die beiden nebeneinander existierenden Hegemonen unbeirrbar und unermüdlich in das existierende multilaterale Netzwerk (IMF, WTO, UNO usw.) einzubinden. Wir taufen diese Variante „One World 2.0“.

Der Charme dieser Strategievarianten liegt darin, dass sie alle durchaus simultan erfolgen können, sich also nicht ausschließen. Die Herausforderung für all jene, die infolge des stipulierten Gesetzes zu noch mehr Austausch weiterhin auf die Globalisierungskarte setzen, liegt im Zwang zur Multipolarität, welche alle Varianten außer der ersten nach sich ziehen. Ein Hub wird zu wenig sein, so die Botschaft. Das gilt für global produzierende Industrieunternehmen genauso wie für Anleger, die ihr Vermögen geographisch einigermaßen vernünftig verteilen wollen. Was soll künftig wo produziert werden? Müssen die Effizienzkriterien durch strategische Überlegungen punkto Autonomie und Versorgungssicherheit ergänzt werden? Wo soll die Finanzierung von großen Unternehmungen stattfinden? Braucht es künftig Sollbruchstellen im Organigramm? Und für den Anleger: Wie weit soll der Anleger bei der geographischen Diversifikation gehen? Reicht ihm ein US-denominiertes Zertifikat auf den MSCI-World oder sollte er sich die Eigentumsrechte in verschiedenen Jurisdiktionen sichern? Braucht er Sollbruchstellen in seinem Portfolio? Welche Bank kann das? Die sich verändernde Weltordnung verlangt nach strategischen Schritten und Instrumentarien. Soviel ist gewiss.

Das ist ein gekürzter Beitrag aus der bergsicht 32 mit dem Titel DER UMGANG MIT ZWEI HEGEMONEN. Mehr Informationen finden Sie auf www.m1ag.ch.

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