Oft hört man Forderungen nach „gerechten“ Preisen und „gerechten“ Löhnen. Die klassischen Ökonomen sprachen von funktionalen Preisen und funktionalen Löhnen. „Funktionale Preise sind die Preise, die das größte Produktions- und das größte Verkaufsvolumen anregen. Funktionale Löhne sind die Löhne, die im Allgemeinen die höchste Beschäftigung und die größte reale Lohnsumme hervorrufen.“
Angeblich sind die Löhne nie hoch genug, um das Produkt zurückzukaufen
Den Begriff des funktionalen Lohns haben sich auch die Marxisten und Anhänger der Kaufkraft-Schule zu Eigen gemacht – allerdings in einem anderen, verfälschten Sinn. Diesen beiden Schulen geht es ebenfalls nicht darum, dass die Löhne gerecht sind, sondern dass sie funktionieren. Jedoch funktionieren die Löhne den Marxisten und den Vertretern der Kaufkraft-Schule zufolge nur dann, wenn sie es der Arbeit ermöglichen, „das Produkt zurückzukaufen, das sie geschaffen hat“. Alle bisherigen Rezessionen werden auf das Versäumnis zurückgeführt, solche Löhne gezahlt zu haben.
Die besten Arbeitslöhne sind nicht die höchsten Löhne, sondern diejenigen, die volle Auslastung der Produktion, Vollbeschäftigung und die größte dauerhafte Gesamtlohnsumme zulassen.
In der Praxis folgt daraus: Der Lohn ist gemäß beiden Schulen nie hoch genug. „Gleichgültig, wann sie sich zu Wort gemeldet haben, sie sind sich sicher, dass die Löhne noch immer nicht hoch genug sind, um das Produkt zurückzukaufen.“
Besonders wirksam wurde dieser Grundsatz im Mund von Gewerkschaftsführern: Sie haben „nach einem Argument gegriffen, das die selbstsüchtigen Motive der Öffentlichkeit ansprechen und ihr Angst machen sollte. Dann wird – so hoffen sie – die Öffentlichkeit die Unternehmer zwingen, die Forderungen der Gewerkschaften zu erfüllen.“
Es ist unklar, was die richtige Lohnhöhe ist
Nur haben die Verfechter dieser Forderung allerdings nie wirklich versucht zu ergründen, wann genau die Arbeit „genug hat, um das Produkt zurückzukaufen“. Es ist völlig unklar, welches die richtige Summe ist. Der Versuch, diese Höhe zu bestimmen, wirft Fragen auf:
„Einige Befürworter der Theorie meinen offenbar, dass die Arbeiter in jeder Branche so viel bekommen sollten, dass sie das Produkt zurückkaufen können, das sie herstellen.“ Es bestehen aber beträchtliche Unterschiede zwischen den Durchschnittslöhnen der einzelnen Wirtschaftszweige. „1976 erhielten die Beschäftigen im amerikanischen Einzelhandel durchschnittlich nur 113,96 US-Dollar die Woche, während die Arbeiter in der herstellenden Industrie im Durchschnitt 207,60 US-Dollar verdienten und die im Baugewerbe 284,93 US-Dollar.“
Nun forderten zum Beispiel die amerikanischen Automobilgewerkschaften in den 1940er Jahren eine 30-prozentige Lohnerhöhung, um, wie einer ihrer Sprecher erklärte, „unsere rapide dahinschwindende Fähigkeit zu stärken, die Waren zu erwerben, die herzustellen wir in der Lage sind.“ Nur gehörten damals die Mitglieder der Automobilgewerkschaften ohnehin bereits zum oberen Drittel der Einkommensbezieher des Landes, und verdienten doppelt so viel, wie die Arbeiter im Einzelhandel. „Wenn die Automobilarbeiter unter diesen Umständen eine 30-prozentige Erhöhung brauchten, um die Wirtschaft vor dem Zusammenbruch zu bewahren, hätten dann bloße 30 Prozent für die anderen überhaupt gereicht?“ Je nach Branche müsste die Lohnerhöhung noch stärker ausfallen.
Künstlich erhöhte Löhne bedeuten höhere Produktionskosten und somit höhere Preise
Tatsache ist: Künstliche erhöhte Löhne ziehen eine Reihe von Konsequenzen nach sich, die von den Befürwortern ausgeklammert werden.
„Der Gedanke, dass die Arbeit so viel bekommen sollte, um ihr Produkt zurückkaufen zu können, ist nur eine Sonderform des allgemeinen ‚Kaufkraft‘-Arguments.“ Was nämlich über die Arbeiter gesagt wird, dass gilt in Wahrheit für jeden Einzelnen: dass sein Lohn seine Kaufkraft ist. Bei Lebensmittelhändlern, Unternehmern oder Hausbesitzern ist das nicht anders. Jeder erwirbt mit seinem Einkommen seine Kaufkraft, „mit der er erwerben kann, was andere zu verkaufen haben“.
Ebenso gilt allerdings auch: „In einer Tauschwirtschaft stellt das Geldeinkommen des einen die Kosten eines anderen dar. Jede Erhöhung der Stundenlöhne bedeutet auch einen Anstieg der Produktionskosten, es sei denn, die Lohnerhöhung wird durch eine gleich große Produktivitätssteigerung ausgeglichen.“
Die reale Kaufkraft steigt bei einer künstlichen Lohnerhöhung, die nicht durch Produktionssteigerung ermöglicht wurde, folglich nicht: „Wenn eine 30-prozentige Erhöhung der Stundenlöhne in der gesamten Wirtschaft einen 30-prozentigen Preisanstieg bewirkt, kann die Arbeit nicht mehr von dem Produkt kaufen als zu Beginn; und der ganze Tanz muss von vorne anfangen.“ Darüber hinaus „schreckt der höhere Preis Käufer ab“, und das „lässt den Markt schrumpfen und verursacht … Arbeitslosigkeit.“
Wenn sich die Preise nicht ändern, sinkt die Lohnsumme höchstwahrscheinlich ebenfalls wegen höherer Arbeitslosigkeit
Auf eine Lohnerhöhung muss nicht ein Preisanstieg folgen. Preiskontrollen können eine Preiserhöhung verhindern. Die Folgen sind dann aber neben einer Erhöhung der Produktionskosten auch ein Produktionsrückgang und höhere Arbeitslosigkeit. Ebenso kann auch die Geld- und Kreditpolitik einen Preisanstieg verhindern – mit denselben Folgen: „Wenn Geld und Kredite so unelastisch sind, dass sie bei einer erzwungenen Lohnerhöhung nicht zunehmen …, dann besteht die wesentliche Folge des Hochtreibens der Löhne darin, dass Arbeitslosigkeit hervorgerufen wird.“
Bei geringerer Beschäftigung ist die Lohnsumme im Endeffekt höchstwahrscheinlich geringer als zuvor, und zwar sowohl in Hinblick auf den Geldbetrag, als auch auf die Kaufkraft. Beschäftigungsrückgang, der nicht auf technologischen Fortschritt zurückzuführen ist, sondern auf die Gewerkschaftspolitik, bedeutet nämlich, dass weniger für alle produziert wird.
Die beiden Ökonomen Paul Howard Douglas (1892 – 1976) und Arthur Cecil Pigou (1877 – 1959) haben unabhängig voneinander festgestellt, „dass die Nachfrageelastizität der Arbeit irgendwo zwischen drei und vier liegen müsse.“ Mit anderen Worten: „Wenn die Löhne über den Punkt der Grenzproduktivität hinaus angehoben werden, wäre der Beschäftigungsrückgang normalerweise drei- bis viermal so hoch wie die Erhöhung der Stundenlöhne“ (Douglas). Der Gesamtverdienst der Arbeiter würde daher fallen. Oder umgekehrt: „Ein einprozentiger Rückgang der Reallöhne erhöht die Gesamtnachfrage nach Arbeit wahrscheinlich um mindestens drei Prozent“ (Pigou).
Auch wenn diese Zahlen einen vergangenen Zeitraum betreffen, verdienen sie Beachtung.
Die Preissteigerung wird unterschätzt, weil die indirekten Lohnkosten übersehen werden
Gesetzt aber den Fall, die Lohnerhöhung werden von einer ausreichenden Zunahme an Geld und Krediten begleitet, sodass sie keine massive Arbeitslosigkeit auslösen. Nehmen wir darüber hinaus an, „dass die bisherige Beziehung zwischen Löhnen und Preisen ‚normal‘ und langfristig war, dann wird ein erzwungener Lohnanstieg um beispielsweise 30 Prozent letztlich zu einer Anhebung der Preise in etwa gleicher prozentualer Höhe führen.“
Einige bezweifeln das. Ihre Annahme, der Preisanstieg werde niedriger sein, entsteht zunächst durch folgenden Denkfehler: Weil beispielsweise bei der Automobilherstellung die direkten Arbeitskosten in den Fabriken „vielleicht weniger als ein Drittel der Gesamtkosten“ betragen, glauben sie, eine 30-prozentige Lohnerhöhung bewirke einen nur 10-prozentigen Preisanstieg. Doch dabei betrachten sie nur die direkten Arbeitskosten einer Firma oder Branche. Es ist ein typischer Fehler: Wieder wird ein Teil für das Ganze gehalten. Übersehen werden „die indirekten Lohnkosten …, die in den Rohstoffen und Zulieferteilen, den Transportkosten, neuen Anlagen oder neuen Werkzeugmaschinen und in den Aufschlägen der Händler stecken.“
Ausgehend von Schätzungen der US-Regierung kann man annehmen, „dass die Arbeitskosten kaum weniger als etwa zwei Drittel der gesamten Produktionskosten betragen können und unter Umständen 75 Prozent überschreiten, je nachdem, wie wir den Begriff Arbeit definieren“: Der Regierung zufolge haben nämlich die Löhne und Gehälter in den USA von 1929 bis 1943 im Schnitt 69 Prozent des Volkseinkommens ausgemacht, und ebenso viel in den Jahren 1956 bis 1960. 1972 bis 1976 waren es 66 Prozent. Wenn man die Zuschläge mitrechnete, kam man sogar auf 76 Prozent des Volkseinkommens. Fazit: Selbst wenn man von nur zwei Dritteln der gesamten Produktionskosten ausgeht, hätte demnach eine 30-prozentige Lohnerhöhung eine Preissteigerung von 20 Prozent zur Folge.
Doch das ist nicht alles: In weiterer Folge hätte „die Gewinnspanne, die das Einkommen der Investoren, Manager und Selbständigen darstellt, dann nur noch, sagen wir, etwa 84 Prozent der Kaufkraft von vorher. Langfristig würde das einen Rückgang der Investitionen und Neugeschäfte im Vergleich zum sonst möglichen Stand verursachen, außerdem ergäbe sich daraus eine entsprechende Umverteilung von den kleinen Selbstständigen zu den besser gestellten Lohnempfängern, bis das frühere Verhältnis ungefähr wiederhergestellt wäre.“ Somit würden letztlich die 30-prozentigen Lohnerhöhungen auch eine 30-prozentige Steigerung der Preise bewirken.
Lohnbezieher haben höchstens einen vorübergehenden, relativen Gewinn, und gleichzeitig weniger Beschäftigung und weniger Produktion
Die Lohnbezieher können durch künstliche Lohnerhöhungen durchaus relative Gewinne machen, allerdings nur während der Übergangsperiode, in der andere gleichzeitig einen relativen Verlust machen. „Aber es ist unwahrscheinlich, dass dieser relative Gewinn auch ein absoluter wäre.“
Darüber hinaus ist es kaum möglich, dass der relative Gewinn nicht mit Arbeitslosigkeit und Produktionseinbußen einhergeht. Vor allem aber bleibt am Ende selbst für die Phase des Übergangs ungewiss, ob ein größeres Stück vom kleineren Kuchen tatsächlich mehr ist, als ein kleineres Stück vom größeren.
Auf dem freien Markt entstehen Gleichgewichtslöhne – zum Wohle aller
Das Problem künstlicher Lohnerhöhungen ist: Sie gehen zulasten des wirtschaftlichen Gleichgewichts: „Gleichgewichtslöhne und –preise sind die Löhne und Preise, bei denen Angebot und Nachfrage ausgeglichen sind.“ Es ist der freie Markt, der sie auf dieses Niveau bringt.
Bei künstlich über das Gleichgewichtsniveau erhöhten Preisen sinken Nachfrage und Produktion. Bei künstlichen gesenkten Preisen wiederum gehen die Gewinne zurück, und mit ihnen das Angebot und die neue Produktionstätigkeit. „Daher wird jeder Versuch, Löhne über oder unter ihr Gleichgewichtsniveau zu zwingen …, den Umfang der Beschäftigung und der Produktion unter den Stand sinken lassen, der ansonsten erreicht worden wäre.“
Somit gilt: Es „sind die besten Preise nicht die höchsten, sondern diejenigen, die das größte Produktions- und Verkaufsvolumen herbeiführen. Die besten Arbeitslöhne sind nicht die höchsten Löhne, sondern diejenigen, die volle Auslastung der Produktion, Vollbeschäftigung und die größte dauerhafte Gesamtlohnsumme zulassen.“
Wenn wir hingegen „versuchen, die Wirtschaft nur zum Vorteil einer einzigen Gruppe oder Schicht zu betreiben, schädigen oder ruinieren wir alle Gruppen“.
Die hier gebotene, exklusiv für die AUSTRIAN ESSENTIALS erstellte Kurzfassung von „Die 24 wichtigsten Regeln der Wirtschaft“ erscheint mit Erlaubnis des FinanzBuch Verlags, bei dem auch die deutsche Fassung der 1978 erschienenen aktualisierten Neuauflage des Klassikers erhältlich ist.