Vierte Vorlesung: Inflation

Ludwig von Mises: Vom Wert der besseren Ideen. Sechs Vorlesungen über Wirtschaft und Politik.

Im Rahmen der sechs Vorlesungen können viele Themenbereiche der Ökonomie nur stark verkürzt besprochen werden. Das gilt insbesondere für Fragen der Geldpolitik: „Es fällt mir nicht leicht, die Probleme so vereinfacht darstellen zu müssen, denn es gibt viele komplexe Probleme im monetären Bereich. Ich hätte ja auch nicht ganze Bücher über sie geschrieben, wären sie so einfach, wie ich sie hier beschreibe.“

Durch Erhöhung der Geldmenge verliert die Geldeinheit an Kaufkraft

Entscheidend für das Verständnis von Inflation ist: Inflation ist die Erhöhung der Geldmenge. „Wenn man die Geldmenge erhöht, vermindert man damit die Kaufkraft einer Geldeinheit.“ Das Verhältnis von Geldmenge und Warenmenge hat nämlich Folgen für das „Austauschverhältnis“ zwischen Geld und einer Ware. So wie ein höheres Angebot an Waren deren Wert reduziert, verliert auch das Geld an Wert mit seiner erhöhten Menge:

„Wenn das Angebot an Kaviar so reichlich wäre wie das Angebot an Kartoffeln, dann würde sich der Preis für Kaviar, d.h. das Austauschverhältnis zwischen Kaviar und Geld oder Kaviar und anderen Waren, erheblich verändern. Dann könnte man Kaviar zu viel günstigeren Bedingungen als heute kaufen. So verhält es sich auch mit dem Geld. Wenn die Geldmenge vergrößert wird, nimmt die Kaufkraft einer Geldeinheit ab und die Gütermenge, die man mit einer Geldeinheit kaufen kann, wird entsprechend kleiner.“

Inflation bedeutet somit einen Verlust an Kaufkraft des Geldes und einen Anstieg der Preise durch eine Vermehrung der Geldmenge.

Die gängige und auch heute noch übliche Verständnis von Inflation ist anders: „Unglücklicherweise sehen manche Leute … die Ursache der Inflation nicht in einer Zunahme der Geldmenge, sondern im Anstieg der Preise.“ Doch ein „ernstzunehmendes Argument“ gegen die wirtschaftswissenschaftliche Interpretation der „Beziehung zwischen Preisen und Geldmenge“ hat es nie gegeben.

Die Wege zur Geldausweitung ändern sich mit der Währung

Früher waren Gold und Silber die allgemein akzeptieren Zahlungsmittel. Als im 16. Jahrhundert die in Amerika entdeckten Bodenschätzen an Gold und Silber nach Europa transportiert wurden, führte die dadurch herbeigeführt erhöhte Geldmenge zu einer allgemeinen Preissteigerung.

Mittlerweile wird die Geldmenge auf anderen Wegen erhöht – und zwar gezielt. Eine davon ist schlicht und einfach das Drucken von Banknoten. (Die Kosten des Druckvorgangs ändern sich dabei nicht zwingend mit der Geldmenge: Ein höherer Betrag, der auf den Papierscheinen steht, kostet nicht mehr.) Doch das ist nicht der einzige Weg (zumal der Großteil des Geldes ohnehin nicht Bargeld ist).

„Heute sind die Techniken, eine Inflation zu machen, komplizierter, weil es Buchgeld (auf den Bankkonten) gibt. Es erfordert eine andere Methode, aber das Resultat ist dasselbe. Die Regierung schafft mit einem Federstrich Geld, indem sie die Geld- und Kreditmenge erhöht. Die Regierung stellt lediglich eine Anweisung aus und das Geld ist da.“

Der Staat soll seine Finanzprobleme durch Besteuerung lösen, nicht durch Geldschöpfung

Mit den neuen Methoden der Gelderzeugung im 18. Jahrhundert entstand bereits der Glaube an eine Art Geheimwissen der Bankiers, um Wohlstand aus dem Nichts zu schaffen. Doch das ist eine Illusion. Ebenso verfügt auch die Regierung heute über „kein Geheimmittel zur Lösung der Finanzprobleme“:

„Wenn sie Geld braucht, muss sie sich das Geld durch die Besteuerung ihrer Bürger beschaffen (oder in ganz besonderen Fällen kann sie das Geld von Leuten leihen, die welches haben). Aber viele Regierungen, wir können sogar sagen die meisten, glauben, dass es noch eine andere Methode gibt, um das benötigte Geld zu bekommen, nämlich es einfach zu drucken.“

Inflation geschieht in der Regel verdeckter als Besteuerung: „Die technischen Methoden, die man anwendet, um Inflation zu machen, sind so kompliziert, dass der Durchschnittsbürger es gar nicht merkt, dass die Inflation bereits begonnen hat.“

Besteuerung allein bewirkt keinen Preisanstieg

Die Folgen der Besteuerung sind anders. Zwei Beispiele veranschaulichen das:

1) Die Regierung möchte ein Krankenhaus bauen. Dafür benötigt sie Geld. Deshalb besteuert sie die Bürger. Eine große „Preisrevolution“ löst sie dadurch nicht aus, denn: Sie zwingt den besteuerten Bürger „seine Ausgaben zu reduzieren“ oder weniger zu sparen. Der Bürger kauft weniger. Gleichzeitig tritt die Regierung als Käufer auf und kauft mehr.

2) Der Staat zahlt seinen Angestellten mit Hilfe von Steuergeldern höhere Gehälter. Ergebnis: Der gewöhnliche Steuerzahler hat weniger Geld, die im Staatsdienst Stehenden mehr und können mehr ausgeben.

Das Problem der Inflation ist ein anderes. Es liegt nicht darin, wofür die Regierung das zusätzliche Geld ausgibt. Entscheidend ist einzig und allein die Art und Weise, wie sie es beschafft hat. Selbst wenn die Regierung das geschaffene Geld für die besten Zwecke ausgibt, ändert das nichts an den negativen Konsequenzen der Inflation. Inflation führt zur Preiserhöhung. Wichtig ist: „Es gibt nicht so etwas wie eine allgemeine, gleichartige Aufwärtsbewegung des sogenannten Preisniveaus.“ Der Begriff Preisniveau ist irreführend: „Bei den Preisen gibt es so etwas wie ein ‚Niveau’ nicht. Sie verändern sich niemals im gleichen Maß und zur gleichen Zeit.“

Inflation bewirkt Umverteilung (Cantillon-Effekt)

Neu geschaffenes Geld liegt nicht auf der Straße. Auch erhält es nicht die gesamte Bevölkerung zur selben Zeit. „Jene Gruppen, die das neue Geld als erste bekommen, werden vorübergehend einen Vorteil haben.“ Dieses Phänomen wurde erstmals von dem französisch-irischen Ökonom Richard Cantillon (1680 – 1734) beschrieben.

Ein Beispiel:
Weil eine Regierung einen Krieg führen will und deshalb Kriegsmaterial kaufen muss, erhöht sie die Geldmenge durch Kredite und die Notenpresse, verursacht also Inflation. (Dies geschah in sämtlichen europäischen Staaten während beider Weltkriege.) In diesem Fall „sind die Rüstungsfabriken und die Arbeiter dieser Industriezweige die ersten, die das zusätzliche Geld erhalten.“ Sie haben höhere Gewinne bzw. Löhne und kaufen daher mehr. Die zweite Gruppe, die von der Inflation kurzfristig profitiert sind jene Personen, bei denen die Arbeiter und Rüstungserzeuger einkaufen, denn diese Personen verkaufen nun mehr. Das sind zum Beispiel die Restaurantbesitzer neben der Waffenfabrik. Zu beiden Personengruppen kommt das zusätzliche Geld in einem frühen Stadium.

Man sieht: „Das zusätzliche Geld, das die Regierung gedruckt und in den Markt eingeführt hat, wird nicht für den Kauf aller Waren und Dienstleistungen verwendet. Es wird für den Kauf bestimmter Waren benutzt, deren Preise steigen werden“.

Die Arbeiter und Restaurantbesitzer kaufen mit dem zusätzlichen Geld zu den bisherigen Preisen am Markt ein. Doch dann gibt es jene, zu denen das Geld erst viel später kommt. Sie sind in einer ungünstigen Position: „Bevor sie das zusätzliche Geld erreicht, müssen sie schon höhere Preise für einige – oder praktisch für alle – Güter, die sie kaufen wollen, bezahlen als zuvor, obschon ihr Einkommen gleichgeblieben oder nicht proportional zu den Preisen gestiegen ist.“

Mit anderen Worten: Je früher man das zusätzliche Geld erhält, umso vorteilhafter, je später, um so nachteiliger. „Es gibt also immer verschiedene Bevölkerungsgruppen, die unterschiedlich stark von der Inflation betroffen sind.“ Manche profitieren davon, andere werden geschädigt. Es findet eine versteckte Umverteilung statt.

Inflation lässt sich nicht „endlos weiterführen“

„Auf lange Sicht führt die Inflation zum Zusammenbruch der Währung“. Dies geschah etwa 1923 in Deutschland:

„Am 1. August 1914 war der Dollar 4,20 Reichsmark wert. Neun Jahre und drei Monate später, im November 1923, wurde der Wert eines Dollars mit 4,2 Milliarden festgesetzt. Mit anderen Worten: Die Mark war nichts mehr wert.“ Bis dahin hatte die Deutschen geglaubt, „dass ihre Inflation nur eine vorübergehende Angelegenheit sei, dass sie bald vorüber sein würde. Sie glaubten das fast neun Jahre lang, bis zum Sommer 1923. Dann schließlich begannen sie zu zweifeln.“

Wenn den Menschen klar wird, dass die Regierung die Inflation weiterhin fortsetzt, dann begreifen sie auch, „dass die Preise weiter steigen und morgen höher sein werden als heute. Dann fangen sie an, um jeden Preis zu kaufen und bewirken damit, dass die Preise so hoch steigen, dass das Währungssystem zusammenbricht.“

So hörten die Menschen in Deutschland auf zu sparen. Sie erkannten auch, „dass es nicht gut war, Geld-Darlehen zu gewähren, sondern dass es im Gegenteil sehr viel besser war, Schuldner zu sein. Auf diese Weise verstärkte sich die Inflation aus sicher heraus.“

Deutschland erlebte nach dem Ersten Weltkrieg schließlich eine Hyperinflation: Im Herbst 1923 verlor die Mark von einem Tag auf den anderen 50 Prozent ihrer Kaufkraft – bis eine neue Währung geschaffen werden muss.

Der Vorteil der Goldwährung und weitere Folgen der Inflation

Der berühmte britische Ökonom John Maynard Keynes (1883 – 1946) nannte die Goldwährung ein „barbarisches Relikt“. Die Forderung nach einer Rückkehr zum Goldstandard wird daher gemeinhin als lächerlich beurteilt.

„Doch die Goldwährung hat einen gewaltigen Vorzug: Die Größe des Geldangebots ist bei einer Goldwährung unabhängig von der Politik der Regierung und der politischen Parteien. … Sie ist gleichsam ein Schutz gegen die Ausgabefreudigkeit der Regierungen.“

Inflation verändert die Einstellung der Bevölkerung gegenüber dem Staat: „Unter inflationären Bedingungen jedoch gewöhnen sich die Leute daran, den Staat als eine Einrichtung anzusehen, die über unbegrenzte Mittel verfügt. Der Staat, die Regierung kann alles.“

Die Lohn-Forderungen der Gewerkschaften führten zur Politik der Inflation

Nach dem Ersten Weltkrieg leiteten die Gewerkschaften in Großbritannien die Politik der Inflation ein. Zunächst kehrte Großbritannien zur Goldparität vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs zurück. Die Folge: Das Pfund wertete massiv auf, die Kaufkraft der Löhne erhöhte sich. Normalerweise wären die Nominallöhne gefallen, sodass die Reallöhne gleichbleiben. Doch die Gewerkschaften weigerten sich, „die Anpassung der Löhne an die höhere Kaufkraft der Geldeinheiten zu akzeptieren“.

Das ist ein generelles Problem: Die Gewerkschaften wollen die Löhne über das Marktniveau heben. Viele Unternehmer müssen in der Folge ihre Betriebe schließen, weil sie nicht dauerhaft mit Verlusten arbeiten können. „Die Festsetzung der Löhne über dem Niveau, das sie in einem freien Markt hätten, endet immer mit der Arbeitslosigkeit eines beträchtlichen Teils der Arbeitswilligen.“

In England folgte „eine anhaltende, Jahre dauernde Arbeitslosigkeit“. Den einzigen Ausweg, den die britische Regierung sah – und ihr folgten seither sämtliche andere Länder, beginnend mit Frankreich, den Niederlanden, der Tschechoslowakei und andere – war eine Abwertung der Währung. Dadurch verloren die Nominallöhne wieder an Kaufkraft und die Reallöhne sanken. „Auf diese Weise, so glaubte man, würden sich die Reallöhne wieder dem Niveau des freien Marktes anpassen und die Arbeitslosigkeit würde verschwinden.“

Als die Gewerkschaften dies erkannten, begannen sie eine Klausel in die Tarifverträge einzufügen, die besagt, „dass sich die Nominallöhne automatisch mit dem Anstieg der Preise erhöhen mussten. Das nennt man Indizierung oder Index-Löhne.“ Deshalb funktioniert das Verfahren nicht mehr.

Keynes erhob die Politik der Inflation zum Prinzip

Im Jahr 1936 war die „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ des britischen Ökonomen John Maynard Keynes erschienen. In dieser Schrift hatte Keynes „jene Notmaßnahmen aus der Zeit von 1929 bis 1933 zu einem Prinzip, ja sogar zu einem grundlegenden System der Politik“ erhoben.

Keynes erkannte, dass bei zu hohen Löhnen zu Arbeitslosigkeit steigt und die Unternehmer ihre Belegschaft nicht vergrößern können. Doch anstatt eine Anpassung der Löhne an das Marktniveau zu fordern, meinte Keynes man müsse den Reallohn heimlich durch Inflation senken, da dies dann dem Betroffenen nicht auffallen würde. Nur über Inflation konnte man Keynes zufolge Vollbeschäftigung erreichen.

„Was Lord Keynes hier vorschlug, hätte man früher Betrug an den Arbeitern genannt. … Das Interessanteste daran ist jedoch, dass es zu der Zeit, als seine ‚General Theory’ veröffentlicht wurde, dieser Betrug schon nicht mehr möglich war, denn die Menschen waren inzwischen indexbewusst geworden.“

Die behauptete Problemstellung „Arbeitslosigkeit oder Inflation“ ist falsch. Eine gesunde Währung steht nicht in Widerspruch zu Vollbeschäftigung.

Nur ein freier Markt führt zu Vollbeschäftigung

Im freien Markt muss ein Unternehmer sein Produkt zu jenem Preis verkaufen, zu dem es Käufer findet. Ist der Preis zu hoch, muss er ihn senken. Verluste macht er, wenn „er den Markt für sein Erzeugnis falsch eingeschätzt hat.“

Nicht anders geht es einem jungen Mann auf Arbeitssuche: Findet er keine Arbeit für 100 Dollar pro Woche, muss er Arbeit für weniger Geld suchen. Wenn er sich auf den Standpunkt der Gewerkschaft stellt – „100 Dollar oder gar nicht“ – dann bleibt er am Ende möglicherweise arbeitslos.

Vollbeschäftigung hängt „mit dem unbehinderten Arbeitsmarkt zusammen, einem Markt, der nicht von den Gewerkschaften oder der Regierung manipuliert wird. Auf einem solchen freien Markt hat der Lohn für jede Arbeit die Tendenz, sich auf einer Höhe einzupendeln, bei der jeder Arbeitssuchende eine Arbeit bekommen kann und jeder Unternehmer so viel Arbeiter einstellen kann, wie er braucht. … Das einzige Mittel, um ‚Vollbeschäftigung’ zu erreichen, ist ein von Eingriffen freier Arbeitsmarkt.“

Die USA können sich eine schlechte Geldpolitik länger leisten

Die USA verfolgen hinsichtlich der Inflation eine schlechte Geldpolitik. Einige Personen sehen darin einen Beleg dafür, dass diese Politik in Wahrheit doch nicht so schlecht sein kann, wenn sie von einem der reichsten Länder angewandt wird. Nur: Reiche Länder können sich eine schlechte Geldpolitik länger leisten.

Fazit: Inflation ist nicht ein Naturereignis, sondern eine bewusst gewählte Politik, die fälschlicherweise glaubt, auf diesem Weg die Arbeitslosigkeit zu senken.

Die hier gebotene, exklusiv für die AUSTRIAN ESSENTIALS erstellte Kurzfassung von “Vom Wert der besseren Ideen” erscheint mit Erlaubnis des Lau Verlags, bei dem auch die von Gerd Habermann und Gerhard Schwarz herausgegebene deutsche Edition des Originaltextes als Buch erhältlich ist.

Der englische Originaltext ist online zugänglich bei der Online Library of Liberty des Liberty Fund.

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