Dritte Vorlesung: Interventionismus

Ludwig von Mises: Vom Wert der besseren Ideen. Sechs Vorlesungen über Wirtschaft und Politik.

Der Staat ist wichtig, auch für das Funktionieren der freien Marktwirtschaft. „Der Staat sollte innerhalb seiner Grenzen die Bürger vor gewaltsamen und betrügerischen Angriffen von Verbrechern schützen und das Land gegen Feinde von außen verteidigen. Das sind die Aufgaben eines Staates in einem freien, marktwirtschaftlichen System.“

Doch damit geben sich viele Menschen nicht zufrieden. „Sobald etwas, das in der Welt geschieht, jemandem missfällt, sagt er: ‚Die Regierung sollte etwas tun, wozu haben wir eine Regierung? Die Regierung muss handeln.’“

Die reflexartige Suche nach staatlichen Lösungen für wirtschaftliche Probleme ist auch ein Überbleibsel vergangener Zeiten, als man den Königen noch höhere Weisheit zuschrieb: „Dieser Glaube an die Überlegenheit eines patriarchalischen Staates, an die übernatürlichen und übermenschlichen Kräfte des erblichen Königtums, verschwand mit der Zeit, zumindest dachten wir das. Aber er lebte wieder auf.“

Interventionismus bedeutet Eingriff in Marktvorgänge

Die Sehnsucht nach einem übermächtigen Staat führt regelmäßig zur Forderung nach mehr staatlichen Eingriffen in den Markt. Das nennt man Interventionismus. Es bedeutet: Der Staat weitet seine Tätigkeit auf Aufgaben aus, die über die Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit hinausgehen: „Er greift in die Bildung der Preise, Löhne, Zinsen und Gewinne ein“ und versagt gleichzeitig darin, „den reibungslosen Ablauf der Marktwirtschaft zu garantieren“. Dies tut der Staat mit einer bestimmten Zielsetzung:

„Der Staat will durch seine Einmischung die Geschäftsleute zwingen, sich anders zu verhalten, als sie es tun würden, wenn sie nur dem Verbraucher gehorchten. Deshalb laufen alle Maßnahmen des staatlichen Interventionismus darauf hinaus, die Machtstellung des Verbrauchers zu beschränken.“ Mit anderen Worten: Der Staat will die „Macht, die in einer Marktwirtschaft in den Händen des Verbrauchers liegt, zumindest teilweise sich selbst aneignen.“ Das geschieht nicht mit der Absicht, dem Verbraucher zu schaden, hat jedoch genau das zur Folge.

Staatliche Betriebe verändern das Wirtschaftssystem nicht

Staatlicher Interventionismus ist nicht mit verstaatlichter Industrie zu verwechseln: Eine aus privaten und staatlichen Unternehmen gemischte Wirtschaft ist ein anderes Thema. Es ist wichtig, die Themen Staatswirtschaft und Interventionismus zu unterscheiden.

Denn auch wenn es keineswegs zu den Aufgaben des Staates gehört, Eisenbahnen zu betreiben – was viele Staaten tun – verändert das noch nicht den Charakter des Wirtschaftssystems, denn: Der „Staat unterliegt beim Betreiben dieser Unternehmen der Herrschaft des Marktes und das bedeutet, dass er auch der Herrschaft des Verbrauchers unterworfen ist.“ Das ist der Unterschied zum Interventionismus.

Staatliche Betriebe ziehen andere Probleme nach sich: Sie sind in der Regel nicht profitabel. Im Gegensatz zu einem privaten Unternehmen kann der Staat jedoch die Defizite durch neue Steuern finanzieren. In einigen Staaten sind die Defizite durch verstaatliche Einrichtungen allerdings so hoch, dass der Staat nicht mehr nur auf Steuern zurückgreifen kann, sondern auch die Geldproduktion erhöht, was zur Inflation führt. (Inflation ist Thema der vierten Vorlesung.)

Staatliche Unternehmen bleiben aber noch immer dem Markt und damit der Herrschaft des Konsumenten unterworfen. Ihre Problematik ist daher nicht mit dem Problem des Interventionismus zu verwechseln.

Preiskontrolle bewirkt Güterknappheit

Man kann die Folgen von staatlichem Interventionismus am Beispiel der Preiskontrolle veranschaulichen. Mit einer Kontrolle der Preise will die Regierung das Angebot vergrößern und die Versorgung verbessern. Freilich erreicht sie damit das genaue Gegenteil. Das zeigt sich etwa an der Festlegung des Milchpreises, einer Maßnahme, die Regierungen immer wieder ergriffen haben. Die Menschen hatten sich zuvor über die gestiegenen Milchpreise beschwert. Deshalb setzten die Regierungen einen Höchstpreis für Milch fest. Was bewirkte das?

„Einerseits steigt durch den niedrigeren Milchpreis die Nachfrage nach Milch. … Andererseits haben einige Produzenten Verluste, nämlich jene, die mit den höchsten Kosten produzieren, d.h. die Grenzproduzenten, denn der Preis, den die Regierung festgesetzt hat, bringt weniger, als ihre Kosten ausmachen.“ Ein solcher Produzent wird seine Milchproduktion für den Markt einschränken.

Das Ergebnis ist: Es wird weniger Milch als zuvor angeboten. Die Regierung hat das Gegenteil dessen bewirkt, was sie eigentlich erreichen wollte: „Sie wollte die Zufriedenheit der Milchtrinker vergrößern. Aber in Wirklichkeit sind diese jetzt unzufriedener als zuvor. Bevor die Regierung sich einmischte, war die Milch teurer, aber man konnte sie kaufen. Jetzt ist nicht mehr genug Milch verfügbar, der Gesamtkonsum an Milch geht zurück.“ Lange Warteschlangen vor Geschäften sind die typische Folge.

Die nächste Maßnahme der Regierung ist Rationierung. Mit ihrer Hilfe will die Regierung bestimmte Personengruppen – zum Beispiel Kinder – privilegieren. Kinder, die vier Jahre oder älter sind, erhalten demnach nur die halbe Ration. Doch die Menschen bleiben unzufrieden, denn die verfügbare Milchmenge ist noch immer geringer als zuvor.

Preiskontrolle führt zu weiteren Preiskontrollen (Interventionsspirale)

Wenn die Regierung von den zu hohen Produktionskosten erfährt, um Milch zu einem so niedrigen Preis zu verkaufen, legt sie als nächstes einen Höchstpreis für Futter fest, damit die Bauern die Kühe billiger füttern können. Jetzt wiederholt sich beim Futter, was schon zuvor bei der Milch eingetreten ist: Die Futterproduktion sinkt, weil die Futterproduzenten zu dem Höchstpreis nicht gewinnbringend produzieren können. Da die Regierung das Prinzip der Preiskontrolle nicht aufgeben will „setzt sie jetzt einen Höchstpreis für die Materialien fest, die zur Futterproduktion notwendig sind.“

Schließlich geht die Regierung dazu über, die Preise für sämtliche lebensnotwendige Nahrungsmittel wie Eier und Fleisch zu kontrollieren. Eine Interventionsspirale wurde in Gang gesetzt, die ursprünglich gar nicht geplant war.

Das passiert, wenn die weniger augenfälligen Zusammenhänge in der Ökonomie nicht beachtet werden: Ein punktueller Eingriff führt zu unerwünschten Folgen, die weitere Eingriffe nach sich ziehen. Die Regierung greift immer tiefer in den Produktionsprozess ein. „Sobald sie einmal einen Höchstpreis für Konsumgüter festgesetzt hat, muss sie einen Schritt weiter zurückgehen und auch ein Preislimit für die Produktionsgüter festsetzen, die man zur Produktion der preisgebundenen Konsumgüter braucht.“

Die Interventionsspirale mündet in den Sozialismus

Um die Produktionskosten zu bestimmen muss auch der „Preis für Arbeit“ festgelegt werden, denn „ohne Lohnkontrolle bliebe die staatliche ‚Preiskontrolle’ wirkungslos“. Abgesehen von anderen Konsumgütern wird die Preiskontrolle auch auf Luxusgüter ausgedehnt, denn ansonsten „würden Kapital und Arbeit aus der Produktion der lebensnotwendigen Güter in jene Produktionsbereiche abwandern, die der Staat als unnötigen Luxus betrachtet.“

Die Folgen sind verheerend: „Bevor der Staat sich einmischte, waren Milch und Eier zwar teuer, aber nach der staatlichen Einmischung begannen sie, vom Markt zu verschwinden.“ Mit ihrer Preiskontrolle hat die Regierung das Angebot verkleinert und die Versorgung verschlechtert, also genau das Gegenteil dessen erreicht, was sie ursprünglich bezweckt hat.

Zuletzt sind „alle Preise, alle Löhne, alle Zinsen, kurz alles im Wirtschaftssystem vom Staat bestimmt … . Und das ist – da besteht kein Zweifel – Sozialismus.“

Historische Beispiele

Regierungen griffen in der Vergangenheit zahlreiche Male zum Instrument der Preiskontrolle, vor allem in Zeiten wachsender Inflation. Die Beispiele sind zahlreich.

  • Als während des Ersten Weltkriegs die Preise anstiegen, verhängte Deutschland Preiskontrollen. Die Folge war eine zunehmende staatliche Kontrolle über die gesamte Wirtschaft: „Sie begannen bei den Preisen einiger weniger Güter, so z.B. mit dem Milch- und dem Eierpreis und mussten dann immer weitergehen.“ Schließlich erarbeiteten die Deutschen das Hindenburg-Programm. „Der Inhalt des Hindenburgplans war, dass das ganze deutsche Wirtschaftssystem von der Regierung kontrolliert werden sollte. Preise, Löhne, Gewinne, alles. Und die Bürokraten machten sich daran, den Plan in die Wirklichkeit umzusetzen. Aber bevor sie damit fertig geworden waren, kam der Zusammenbruch.“
  • Den gleichen Weg beschritt während des Ersten Weltkriegs England. Der Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg im Jahr 1917, unterbrach den „Weg in den Sozialismus“, da die Amerikaner die Engländer von da an mit allem, was sie brauchten, versorgten.
  • Vor der Machtergreifung Adolf Hitlers hat der deutsche Kanzler Heinrich Brüning (1885 – 1970) aus denselben Gründen erneuert Preiskontrollen eingeführt. Adolf Hitler (1889 – 1945) setzte diese Politik fort und verstärkte sie „noch vor Kriegsbeginn, zu einem allgemeinen Preisstopp. Im Deutschland Hitlers existierte ein sozialistischen System, das sich nur dadurch vom russischen unterschied, dass man hier die Terminologie und Bezeichnungen der freien Marktwirtschaft beibehalten hatte.“ Nazi-Deutschland war „in einer Hierarchie von Führern durchorganisiert“. Unter dem obersten Führer Adolf Hitler befanden sich auf jeder Stufe der Hierarchie weitere Führer bis zu den Unternehmern.
    „Und all diese Leute hatten den Anordnungen einer Institution zu gehorchen, die anordnete, was zu produzieren war und in welcher Menge, woher die Rohstoffe zu beziehen, welche Preise zu bezahlen, an wen und zu welchem Preis die Waren zu liefern seien. Die Arbeiter wurden angewiesen, in welcher Fabrik sie arbeiten mussten und sie erhielten Löhne, die die Regierung festgesetzt hatte. Das gesamte Wirtschaftssystem wurde bis in jede Einzelheit von der Regierung geregelt.“
  • Ähnlich verhielt sich Großbritannien während des Zweiten Weltkriegs unter Winston Churchill (1874 – 1965): „Nachdem die britische Regierung mit der Preiskontrolle nur einiger Waren begonnen hatte, begann sie Schritt für Schritt … immer größere Teile des Wirtschaftssystems zu kontrollieren, und als der Krieg zu Ende war, hatte Großbritannien einen Zustand erreicht, der fast reiner Sozialismus war.“ Sowohl im deutschen, als auch im britischen System wurden „die für das System entscheidenden Leute jeweils von der Regierung eingesetzt“ und mussten deren Anordnungen gehorchen.
  • Großbritanniens Labour-Regierung, die 1945 an die Macht kam, behielt das planwirtschaftliche System der Vorgängerregierung bei. Später hoben die Konservativen einige dieser Kontrollen wieder auf. Großbritannien ist nämlich „von der Einfuhr von Nahrungsmitteln und Rohstoffen abhängig“, muss aber gleichzeitig Industrieerzeugnisse ausführen. „In solchen Ländern, die weitgehend vom Exporthandel abhängig sind, kann ein staatliches Kontrollsystem einfach nicht funktionieren. Soweit es noch wirtschaftliche Freiheit gibt …, existiert sie allein aufgrund der Notwendigkeit, den Exporthandel aufrechtzuerhalten.“

Man sieht: „Immer wenn die Regierung in das Marktgeschehen eingreift, führt dies schrittweise in den Sozialismus.“

Die Mietpreisbindung hat schädliche Folgen

Was für den Milchpreis gilt, das trifft auch auf den Mietpreis zu: Im Wien der frühen 1920er Jahre war die Mietpreisbindung bereits etabliert. Der Eigentümer einer durchschnittlichen Wohnung erhielt „einen Betrag, der nicht höher war als der zweifache Preis einer Fahrkarte der städtischen Straßenbahn. … Nach dem Zweiten Weltkrieg waren in den USA die Verhältnisse ähnlich“.

Diese Mietpreisbindung hat mehrere Folgen: Menschen, die aufgrund veränderter Familienverhältnisse – etwa weil ihre Kinder mittlerweile erwachsen und ausgezogen sind – ansonsten in eine kleinere und billigere Wohnung umziehen würden, tun dies nun nicht mehr. So empfand auch im Wien der 1920er Jahre niemand mehr den Anreiz seine Wohnung zu wechseln, andererseits wurden keine neuen Wohnungen mehr gebaut.

„Einer der wichtigsten Gründe dafür, warum sich in den Vereinigten Staaten viele Städte in so großen finanziellen Schwierigkeiten befinden, liegt in der Mietpreisbindung und der durch sie verursachten Wohnungsknappheit.“ Dies geschieht, obwohl die Stadtregierung oft Milliarden für den Wohnungsbau ausgegeben hat. Die Wohnungsnot hätte vermieden werden können, wenn die Regierung nicht einen Mietpreis festgelegt hätte, der unter dem Preis gewesen wäre, den die Menschen auf dem freien Markt hätten zahlen müssen.

Protektionismus führt zur Entstehung von Kartellen

Die Entstehung von Kartellen wird für Regierungen immer wieder zum Anlass, um in die Unternehmenspolitik einzugreifen und etwa eine Antikartellgesetzgebung zu verabschieden. Dabei wird übersehen, wodurch diese Kartelle überhaupt entstanden sind.

Produzenten eines Landes bilden Kartelle, weil es ihnen die Regierung ermöglicht: „In der Absicht, den inländischen Markt vom Weltmarkt zu isolieren, führt die Regierung einen Zoll ein, der den inländischen Preis einer Ware über den Weltmarktpreis anhebt; sie ermöglicht damit den inländischen Produzenten, Kartelle zu bilden.“

Auch hier gilt: „Die Kartelle wären gar nicht erst entstanden, wenn die Regierung nicht in das Marktgeschehen eingegriffen hätte, denn diese Eingriffe ermöglichen erst die Kartelle.“

Die Macht der Bürger ist das Heilmittel

Die Menschen „müssen verhindern, dass ein solches autokratisches Regime an die Macht gelangt, das sich selbst eine größere Weisheit zuschreibt, als sie der Durchschnittsbürger besitzt. Das ist der grundlegende Unterschied zwischen Freiheit und Knechtschaft.“

Die hier gebotene, exklusiv für die AUSTRIAN ESSENTIALS erstellte Kurzfassung von “Vom Wert der besseren Ideen” erscheint mit Erlaubnis des Lau Verlags, bei dem auch die von Gerd Habermann und Gerhard Schwarz herausgegebene deutsche Edition des Originaltextes als Buch erhältlich ist.

Der englische Originaltext ist online zugänglich bei der Online Library of Liberty des Liberty Fund.

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