Alle Bemühungen, die empirischen Grundlagen der Volkswirtschaftslehre zu gewinnen, sind bisher gescheitert. Deshalb erhält die Volkswirtschaftslehre auch so geringe Beachtung und Wertschätzung, obwohl das Bedürfnis nach einer wissenschaftlichen Grundlage des wirtschaftlichen Handelns nie größer war. Dieses Werk will die Grundlagen der Volkswirtschaftslehre erforschen und reformieren, und dabei die bisherigen Ansichten prüfen, und „von Lehrmeinungen an die Erfahrung, von Menschengedanken an die Natur der Dinge … appellieren.“
Die Methode um zu den empirischen Grundlagen der Volkswirtschaftslehre zu gelangen besteht darin, „die komplizierten Erscheinungen der menschlichen Wirtschaft auf ihre einfachsten, der sicheren Beobachtung noch zugänglichen Elemente zurückzuführen, an diese letzteren das ihrer Natur entsprechende Maß zu legen und mit Festhaltung desselben wieder zu untersuchen, wie sich die komplizierteren wirtschaftlichen Erscheinungen aus ihren Elementen gesetzmäßig entwickeln.“
Mittels dieser empirischen Methode soll nachgewiesen werden, „dass die Erscheinungen des wirtschaftlichen Lebens sich streng nach Gesetzen regeln“. Dieser empirischen Methode der Forschung verdankt ebenso die Naturwissenschaft ihren Erfolg. Es ist jedoch falsch, sie als naturwissenschaftliche Methode zu klassifizieren, denn sie ist die Methode aller Erfahrungswissenschaften. Die Abgrenzung zu den Naturwissenschaften ist wichtig, „weil jede Methode durch die Natur des Wissensgebietes, auf welchem sie zur Anwendung kommt, ihren besonderen Charakter erhält“. Man muss in allen Wissensgebiete „die ihnen eigentümlichen Gesetze“ finden. „Die bisherigen Versuche, die Eigentümlichkeiten der naturwissenschaftlichen Methode der Forschung kritiklos auf die Volkswirtschaftslehre zu übertragen, haben denn auch zu den schwersten methodischen Missgriffen und zu einem leeren Spiele mit äußerlichen Analogien zwischen den Erscheinungen der Volkswirtschaft und jenen der Natur geführt.“
Zuweilen werden Gesetzmäßigkeiten in der Volkswirtschaft mit Verweis auf die Willensfreiheit geleugnet. Anders als die Naturwissenschaft könnte die Volkswirtschaft demnach nie eine exakte Wissenschaft werden. Dieser Einwand beruht auf einem „Irrtum über das eigentliche Gebiet unserer Wissenschaft.“ Wenn sich die Volkswirtschaftslehre mit praktischen Vorschlägen für das wirtschaftliche Handeln befassen würde, wäre dieser Einwand berechtigt. Die wirtschaftlichen Handlungen selbst können angesichts der Willensfreiheit tatsächlich kaum Gesetzmäßigkeit aufweisen. Nur sind nicht die wirtschaftlichen Handlungen selbst Gegenstand der theoretischen Volkswirtschaftslehre, sondern vielmehr die Bedingungen, unter denen wirtschaftliche Handlungen stattfinden, m.a.W. „Bedingungen, unter welchen die Menschen die auf die Befriedigung ihrer Bedürfnisse gerichtete vorsorgliche Tätigkeit entfalten“, und die „den Erfolg der wirtschaftlichen Tätigkeit der Menschen bedingen“. Diese Bedingungen sind vom menschlichen Willen ebenso unabhängig wie chemische Gesetze vom Willen des Chemikers.
Beispiele für solche Gesetzmäßigkeiten sind etwa die Bedingungen unter denen ein Ding einem Menschen nützlich, ein Gut oder ein wirtschaftliches Gut ist. Ebenso gehören dazu Bedingungen für das Stattfinden eines ökonomischen Austausches von Gütern, oder für die Grenzen, innerhalb derer die Preisbildung erfolgt etc.
Ein besonderes Augenmerk gilt der „Erforschung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen den wirtschaftlichen Erscheinungen an den Produkten und den bezüglichen Produktions-Elementen“. Hier zeigt sich nämlich „die Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen des wirtschaftlichen Lebens am deutlichsten“. Gestützt auf den Aufweis des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Produktions-Elementen und wirtschaftlichen Erscheinungen an den Produkten wird die Untersuchung zu einer „alle Preiserscheinungen (somit auch den Kapitalzins, den Arbeitslohn, den Grundzins u.s.f.) unter einem einheitlichen Gesichtspunkte zusammenfassenden Preistheorie“ gelangen, und darüber hinaus über „andere bisher völlig unbegriffene wirtschaftliche Vorgänge“ Aufschlüsse erhalten.
Kurzzusammenfassung
- Dieses Werk bezweckt die empirischen Grundlagen der Volkswirtschaftslehre und somit die wissenschaftliche Grundlage wirtschaftlicher Handlungen zu entdecken.
- Die Methode dafür besteht darin, komplizierte Erscheinungen auf ihre „einfachsten, der sicheren Beobachtung zugänglichen Elemente zurückzuführen“ und zu erklären, wie sich die komplizierten Erscheinungen aus diesen einfachen Elementen gesetzmäßig entwickeln.
- Jedes Wissensgebiet unterscheidet sich von anderen Wissensgebieten durch seine Natur und hat daher auch seine ihm eigentümlichen Gesetze. Es führt folglich zu schweren Irrtümern, wenn man die naturwissenschaftliche Methode auf die Volkswirtschaftslehre überträgt.
- Wirtschaftliche Handlungen sind vorsorgliche Tätigkeiten der Menschen zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse. Die theoretische Volkswirtschaftslehre beschäftigt sich mit den Bedingungen, unter denen solche Handlungen stattfinden. Diese Bedingungen bestehen völlig unabhängig vom menschlichen Willen.
- Der Einwand, es gebe keine Gesetzmäßigkeiten in der Volkswirtschaftslehre angesichts der Willensfreiheit, ist verfehlt, denn die Willensfreiheit betrifft nur die wirtschaftlichen Handlungen selbst, nicht aber die Bedingungen, unter denen sie stattfinden. Die theoretische Volkswirtschaftslehre befasst sich auch nicht mit praktischen Vorschlägen für wirtschaftliche Handlungen.
- Bei der „Erforschung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen den wirtschaftlichen Erscheinungen an den Produkten und den bezüglichen Produktions-Elementen“ zeigt sich „die Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen des wirtschaftlichen Lebens am deutlichsten“.
Carl Mengers „Grundsätze“ wurden erstmals 1871 beim Braumüller Verlag veröffentlicht. Später erschienen sie als erster Band von Mengers „Gesammelten Werken“ beim Mohr Siebeck Verlag. Heute ist Mengers Erstlingswerk im Internet frei zugänglich, unter anderem beim Liberty Fund und beim Mises Institute.