2. Kapitel. Die Wirtschaft und die wirtschaftlichen Güter (Dritter Teil)

Carl Menger: Grundsätze der Volkswirtschaftslehre

Da einzig das Verhältnis zwischen Bedarf und Gütermenge den Unterschied zwischen ökonomischen und nicht ökonomischen Gütern ausmacht, ist der ökonomische Charakter keine den Gütern anhaftende Eigenschaft. So können Güter derselben Art an manchen Orten ein ökonomisches Gut sein, an anderen ein nicht ökonomisches. Trinkwasser, Wälder, ja selbst Grundstücke sind in manchen Ländern kein ökonomisches Gut, in anderen aber schon. Ebenso können Güter derselben Art „an demselben Orte mit dem Wechsel der Verhältnisse auch den ökonomischen Charakter erlangen und einbüßen.“

Je höher die Kulturstufe, desto eher werden aus nicht ökonomischen Gütern ökonomische.

Zwei Ursachen können nicht ökonomische Güter zu ökonomischen machen: Entweder ist ihre verfügbare Quantität gesunken oder das Bedürfnis nach ihnen gestiegen. Die drei wichtigsten Ursachen für die Steigerung des Bedarfs sind:

  • das Bevölkerungswachstum;
  • „die Entwicklung der menschlichen Bedürfnisse, wodurch der Bedarf derselben Volksmenge ein wachsender wird“;
  • durch Erkenntnisfortschritt werden neue Gebrauchszwecke der Güter entdeckt.

Je höher die Kulturstufe, desto eher werden aus nicht ökonomischen Gütern ökonomische, vor allem, da (2) mit der Kulturentwicklung auch der menschliche Bedarf steigt, andererseits aber die Quantität verfügbarer Güter (z.B. bei Holz oder Grundstücken) sinkt.

Manche Güter nehmen eine Mittelstellung zwischen ökonomischen und nicht ökonomischen Gütern ein

Verschiedene Verhältnisse können dazu führen, dass Güter „eine Mittelstellung zwischen den ökonomischen und den nicht ökonomischen Gütern einnehmen“:

  • In höher entwickelten Kulturen können bestimmte Güter von hoher Wichtigkeit in so großer Menge produziert und angeboten werden, dass diese „auch dem ärmsten Gesellschaftsmitgliede in beliebiger Quantität zur Verfügung stehen und somit für die Consumenten den nicht ökonomischen Charakter erlangen.“ Das gilt etwa für den Volksschulunterricht oder Trinkwasser. Durch entsprechende Vorsorge der Gesellschaft sind Unterricht und gesundes Trinkwasser kein ökonomisches Gut mehr, selbst für ärmere Schichten, sondern ein „quasi nicht ökonomisches“.
  • Umgekehrt können nicht ökonomische Güter – zum Beispiel Wälder – „für die Consumenten künstlicherweise zu ökonomischen werden“, wenn ein Gewalthaber die übrigen Menschen von der freien Verfügung über sie ausschließt. So gibt es etwa in den waldreichen Karpaten „zahlreiche Ortschaften, in welchen die Kleingrundbesitzer, die ehemaligen Grundholden, von den Großgrundbesitzern das ihnen nötige Holz kaufen müssen, während diese Letzteren selbst jährlich viele tausende Baumstämme im Walde vermodern lassen, da die ihnen verfügbaren Quantitäten weitaus größer sind als der vorhandene Bedarf.“ Die Wälder werden in diesem Fall zu „quasi ökonomischen Gütern“.
  • Darüber hinaus gibt es Güter, die gegenwärtig noch nicht ökonomische sind, in absehbarer Zukunft aber ökonomische sein werden, entweder weil sich ihre Menge verringert oder weil der Bedarf nach ihnen steigt. In solchen Fällen behandeln die Menschen die „Teilquantitäten“ solcher Güter mit Rücksicht auf die Zukunft meist als wirtschaftliche Gegenstände und eignen sie sich als Besitz an.
  • Die Verfügbarkeit mancher Güter wiederum unterliegt wiederum einem starken Wechsel. Dann sichert ausschließlich die Verfügung „über einen gewissen Überfluss“ den Bedarf in Zeiten des Mangels.
  • Bei manchen Gütern decken sich Bedarf und verfügbare Quantität beinahe (dritter Fall, siehe oben). Auch bei solchen, in der Regel nicht ökonomischen Gütern kann es zu Eigentumsverhältnissen kommen, weil der Missbrauch durch Einzelne schädliche Folgen für die anderen wirtschaftenden Individuen hat, und gegenseitige Rücksichtnahme bei der Besitzergreifung daher empfehlenswert ist.
  • Ein weiterer Faktor ist die unterschiedliche Qualität der Teilquantitäten eines Gutes. Sie kann dazu führen, dass ein zunächst nicht ökonomisches Gut in manchen Fällen ein ökonomisches ist. Gewisse Teilquantitäten haben demnach ökonomischen Charakter, andere nicht, weil die höher qualifizieren Güter in geringerer Menge vorhanden sind als die weniger qualifizierten: „So können zum Beispiel in einem Lande, in dem ein Überfluss an Grundstücken besteht, die der Bodenbeschaffenheit oder Lage nach vorzüglicheren Grundstücke bereits den ökonomischen Charakter erlangt haben, während die minderen noch den nicht ökonomischen Charakter aufweisen“. Gleiches kann z.B. für Trinkwasser unterschiedlicher Qualität zutreffen.

Der ökonomische Charakter von Gütern höherer Ordnung ist durch jenen von Gütern niederer Ordnung bedingt und nicht umgekehrt

Wie das erste Kapitel aufgezeigt hat, ist unser Bedarf an Gütern höherer Ordnung durch unseren Bedarf an den entsprechenden Gütern niederer Ordnung bedingt. Als zweite Bedingung für den Bedarf an Gütern höherer Ordnung ist nun hinzugetreten, dass der Bedarf an Gütern niederer Ordnung nicht vollständig gedeckt ist. Es „ergibt sich sonach der Grundsatz, dass unser Bedarf an Gütern höherer Ordnung durch den ökonomischen Charakter der entsprechenden Güter niederer Ordnung bedingt ist.“ Mit anderen Worten: Es kann kein Bedarf an Gütern höherer Ordnung entstehen, die „nicht ökonomische“ Güter niederer Ordnung hervorbringen.

Daraus folgt der nächste Grundsatz, nämlich „dass der ökonomische Charakter der Güter höherer Ordnung durch jenen der Güter niederer Ordnung bedingt ist, zu deren Hervorbringung sind dienen“. Ausschließlich durch die Hervorbringung eines ökonomischen Gutes niederer Ordnung kann ein höheres Gut ökonomischen Charakter erlangen.

Wo zum Beispiel gutes und gesundes Trinkwasser im Überfluss vorhanden und daher kein wirtschaftliches Gut ist, kann kein Bedarf an Einrichtungen zur Filterung oder zur Herleitung von mehr Trinkwasser entstehen. Ebenso wird dort, wo ein Überfluss an Brennholz besteht, kein Bedarf an Gütern zur Herstellung von Brennholz aufkommen. Das ist erst dann der Fall, wenn Trinkwasser oder Brennholz knapp und somit ökonomische Güter sind.

Es wäre absurd, den ökonomischen Charakter von Gütern niederer Ordnung von jenem der Güter höherer Ordnung herzuleiten.

Ökonomische Güter höherer Ordnung müssen somit Dinge hervorbringen, die erstens Güterqualität haben (sprich: brauchbar sind), und zweitens knapp sind (also ökonomischen Charakter haben). Beides – ihr Güter-Sein und ihr ökonomischer Charakter – ist bei Gütern höherer Ordnung von jenen niederer Ordnung abhängig, und nicht umgekehrt: Es wäre absurd, den ökonomischen Charakter von Gütern niederer Ordnung von jenem der Güter höherer Ordnung herzuleiten: „Der ökonomische Charakter eines Gutes kann demnach nicht die Folge des Umstandes sein, dass dasselbe aus ökonomischen Gütern höherer Ordnung hervorgebracht wurde“.

Es steht fest: Der „Mensch mit seinen Bedürfnissen und seiner Gewalt über die Mittel zur Befriedigung derselben [ist] der Ausgangspunkt und Zielpunkt aller menschlichen Wirtschaft“. Zunächst empfindet der Mensch Bedürfnisse nach Gütern erster Ordnung. Sofern deren Menge geringer ist als sein Bedarf, macht er sie zu wirtschaftlichen Gütern. Später, nach und nach, erkennt er besser den ursächlichen Zusammenhang der Dinge, speziell in Hinblick auf die eigene Wohlfahrt, und lernt Güter zweiter, dritter und höherer Ordnung kennen.

Das Vermögen ist die Gesamtheit der verfügbaren ökonomischen Güter

Wie Kapitel eins gezeigt hat, ist der Güterbesitz die Gesamtheit der einer Person verfügbaren Güter. (Verfügbar ist jemandem etwas, wenn er es zur Befriedigung seiner Bedürfnisse heranziehen kann.) Die Gesamtheit der einer wirtschaftenden Person verfügbaren ökonomischen Güter bezeichnen wir als Vermögen. Nicht ökonomische Güter gehören nicht dazu. Das Vermögen wirtschaftender Individuen ist also die Gesamtheit ihrer wirtschaftlichen Güter, sprich jener Güter, an denen „partieller Mangel besteht“. Vermögen ist ein Maßstab für den Grad an Vollständigkeit, mit dem jemand im Vergleich zu anderen Personen seine Bedürfnisse befriedigen kann.

Der höchste Grad an Wohlfahrt einer Gesellschaft wäre erreicht, wenn in ihr niemand mehr eines Vermögens bedürfte.

Dieser Maßstab ist relativ und nicht absolut: Der höchste Grad an Wohlfahrt einer Gesellschaft wäre erreicht, wenn in ihr niemand mehr eines Vermögens bedürfte. Durch Vermehrung der Güter kann nämlich – scheinbar paradox – das Vermögen schrumpfen, wenn dadurch jene Güter, an denen Mangel herrscht, weniger werden. (Gleiches gilt auch umgekehrt.)

Güter, die einem bestimmten Zweck gewidmet sind, sind keine ökonomischen Güter. Ökonomische Güter dienen zur Befriedigung der eigenen Bedürfnisse.

Man kann auch von Staats-, Landes-, Gemeinde- und Gesellschaftsvermögen sprechen, denn Staaten, Landesteile, Gemeinden und Gesellschaften verfügen in der Regel über Quantitäten ökonomischer Güter, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen und ihre Zwecke zu verwirklichen. Deshalb verwalten sie durch ihre Organe verschiedene ökonomische Güter. Es besteht hier eine Gesamtheit ökonomischer Güter, die einem wirtschaftenden Subjekt (Staat, Land, Gemeinde, Gesellschaft) zur Befriedigung seiner Bedürfnisse verfügbar ist.

Irreführend ist der übliche Begriff des „Volksvermögens“, der sich bereits etabliert hat. Er meint nämlich nicht die Gesamtheit der ökonomischen Güter, die einem als Volk gedachten wirtschaftlichen Subjekt verfügbar sind. Vielmehr meint er die „Gesamtheit der Individualvermögen eines Volkes“. Wenn es um die rein quantitative Bestimmung des sogenannten Volksvermögens geht, kann man diese Definition gelten lassen. Wenn man aber aus der Größe dieses Volksvermögens Rückschlüsse auf die Wohlfahrt des Volks zieht, führt das zu Irrtümern.

Kurz-Zusammenfassung: 

  • Der ökonomische Charakter eines Guts ist nicht eine diesem anhaftende Eigenschaft. Der ökonomische Charakter resultiert ausschließlich aus dem Verhältnis zwischen Bedarf und Gütermenge.
  • Nicht ökonomische Güter werden aus zwei Ursachen zu ökonomischen: Entweder ist ihre verfügbare Quantität gesunken oder das Bedürfnis nach ihnen gestiegen.
  • Die drei wichtigsten Ursachen für die Steigerung des Bedarfs sind Bevölkerungswachstum, Weiterentwicklung der menschlichen Bedürfnisse und neue Erkenntnisse über den die Gebrauchszwecke von Gütern.
  • Je höher die Kulturstufe, desto eher werden aus nicht ökonomischen Gütern ökonomische, vor allem wegen der steigenden Bedürfnisse.
  • Güter können auch eine Mittelstellung zwischen ökonomischen und nicht ökonomische Gütern einnehmen. Die Ursachen sind unterschiedliche:
    • In höher entwickelten Kulturen werden bestimmte wichtige Güter in so großer Menge produziert, dass sie selbst den ärmsten Gesellschaftsschichten in beliebiger Menge verfügbar sind.
    • Gewalthaber können den Zugang zu nicht ökonomischen Gütern für die Konsumenten erschweren, sodass diese zu ökonomischen Gütern werden.
    • Nicht ökonomische Güter können in absehbarer Zukunft zu ökonomischen werden, weil sich ihre Menge verringert oder weil der Bedarf nach ihnen steigt.
    • Bei manchen Gütern decken sich Bedarf und verfügbare Menge beinahe. In solchen Fällen, wie auch im vorigen kann es zu Eigentumsverhältnissen kommen, weil unwirtschaftlicher Umgang durch Einzelne schädliche Folgen für andere haben.
    • Die Verfügbarkeit mancher Güter unterliegt einem starken Wandel. In diesem Fall wird während eines gewissen Überfluss für die Zeiten des Mangels vorgesorgt.
    • Hinzu kommt die unterschiedliche Qualität der Teilquantitäten eines Gutes: Manchmal sind jene von höherer Qualität ökonomische Güter, weil in geringerer Menge vorhanden, nicht aber die weniger qualifizierten.
  • Bedarf an Gütern höherer Ordnung stellt sich nur ein, wenn der Bedarf an Gütern niederer Ordnung nicht vollständig gedeckt ist. Wo Güter niederer Ordnung im Überfluss vorhanden sind, stellt sich kein Bedarf an Gütern höherer Ordnung ein, die diese Güter niederer Ordnung hervorbringen.
  • Es gilt somit der Grundsatz: Der ökonomische Charakter der Güter höherer Ordnung ist durch jenen der entsprechenden Güter niederer Ordnung bedingt, und nicht umgekehrt: „Der ökonomische Charakter eines Gutes kann demnach nicht die Folge des Umstandes sein, dass dasselbe aus ökonomischen Gütern höherer Ordnung hervorgebracht wurde“.
  • Der „Mensch mit seinen Bedürfnissen und seiner Gewalt über die Mittel zur Befriedigung derselben [ist] der Ausgangspunkt und Zielpunkt aller menschlichen Wirtschaft“.
  • Das Vermögen einer Person ist die Gesamtheit der ökonomischen Güter, über die sie verfügt.
  • Das Vermögen zeigt, bis zu welchem Grad jemand im Vergleich zu anderen Personen seine Bedürfnisse befriedigen kann.
  • Auch Staaten, Länder, Gemeinden und Gesellschaften sind wirtschaftende Subjekte. Staats-, Landes-, Gemeinde-, und Gesellschaftsvermögen sind jene Quantitäten ökonomischer Güter, über die diese Subjekte verfügen, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen und ihre Zwecke zu verwirklichen.
  • Unter Volksvermögen wird hingegen (irreführenderweise) die „Gesamtheit der Individualvermögen eines Volkes“ verstanden.

Carl Mengers „Grundsätze“ wurden erstmals 1871 beim Braumüller Verlag veröffentlicht. Später erschienen sie als erster Band von Mengers „Gesammelten Werken“ beim Mohr Siebeck Verlag. Heute ist Mengers Erstlingswerk im Internet frei zugänglich, unter anderem beim Liberty Fund und beim Mises Institute.

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