In Draghis Welt lebt man auf Pump

Nicht gewählte Politiker, sondern die Technokraten der Zentralbanken und der internationalen Finanzinstitutionen stehen heute an der Spitze der globalen Machtpyramide. Keiner repräsentiert diese Klasse besser als Mario Draghi. Der gebürtige Römer (1947), der sich selbst einmal als „liberalen Sozialisten“ bezeichnet hat, promovierte 1970 an der römischen Universität Sapienza. In seiner Dissertation über „Ökonomische Integration und Wechselkursänderungen“ übte er noch heftige Kritik an Pierre Werner, dem luxemburgischen Ministerpräsidenten, der als erster einen Plan zur Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung vorgelegt hatte. Nach einem Postgraduate-Studium am Massachusetts Institute of Technology lehrte Draghi an mehreren italienischen Universitäten, bis ihn die Regierung Craxi 1984 als Exekutivdirektor in die Weltbank entsandte. 1991 wurde er Generaldirektor des italienischen Schatzministeriums, schließlich, nach einem Zwischenspiel von drei Jahren bei Goldman Sachs in London, im Dezember 2005 Gouverneur der Banca d´Italia. Seit November 2011 ist Draghi Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB).

In einer scharfen Polemik, die voriges Jahr unter dem Titel „Die Draghi-Krise“ erschien, warf ihm der deutsche Jurist und Finanzwissenschaftler Markus C. Kerber „das Selbstverständnis eines souveränen Diktators“ vor. Unter seiner Führung verlagere die EZB die italienische Schuldenlast auf die Länder der Euro-Zone, allen voran Deutschland, und hintertreibe damit die dringend erforderliche radikale Sanierung der öffentlichen Finanzen und der Banken Italiens.

Draghi verteidigt den Regelbruch

Am 22. Februar zeichnete die rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Bologna Mario Draghi mit einem Ehrendoktorat aus. In einer ungewöhnlich politischen und ungeschminkten Dankesrede beanspruchte Draghi für die supranationalen Institutionen das Recht, ohne demokratische Kontrolle durchzuregieren. Die EZB, sagte er, habe ihre Aufgaben in der Euro-Krise nur bewältigen können, weil ihr eine weitgehende Entscheidungsbefugnis den Einsatz von zuvor nicht erprobten Instrumenten ermöglicht habe. Weder eine auf festen Regeln basierende Währungspolitik, noch die bisher bewährten Instrumente wären dafür ausreichend gewesen. Heute sehe sich die EU bedrohlichen geopolitischen Veränderungen ausgesetzt, für die sie rasch handlungsfähige Institutionen benötige. Alte Regeln dürften ihnen nicht im Wege stehen.

Tatsächlich verfügt der EZB-Präsident, formell lediglich Primus inter Pares unter 19 Gouverneuren der nationalen Zentralbanken, über eine gewaltige Macht. Die Zentralbank ist nicht nur von politischer Einflussnahme geschützt, sondern unterliegt auch nicht dem Europäischen Gerichtshof. Unter Draghis Präsidentschaft hat die EZB 400 Milliarden Euro in den Geldkreislauf gepumpt, um das Wachstum anzuheizen und das selbstgesteckte Inflationsziel von zwei Prozent zu erreichen. Die Kreditkrise hat sie damit keineswegs bewältigt, die EZB hat sie lediglich mit immer niedrigeren Zinsen und einer gewaltigen Geldschwemme übertüncht.

Im Teufelskreis der Null- und Negativzinsen

Draghi & Co. sind der Ansicht, dass marktgerechte Zinsen weder der Konjunktur noch den überschuldeten Staaten zuzumuten seien. Mit neuen, günstigeren Krediten konnten Schuldner ihre fälligen Kredite finanzieren, wodurch Zahlungsausfälle verhindert wurden. Das Schuldenkarussell drehte sich munter weiter. Die Ausweitung der Geldmenge bildete sich in steigenden Aktienkursen und Immobilienpreisen ab. Wohnen wurde immer teurer. Sparen lohnt sich längst nicht mehr. Man lebt auf Pump, die Altersversorgung wird vernachlässigt, wodurch die Abhängigkeit vom Sozialstaat zunimmt. Bereits im März 2016 war der Leitzins bei null angelangt. Je mehr die Schulden der Staaten und der Privaten wachsen, desto unwahrscheinlicher wird eine Zinskorrektur. Es ist ein Teufelskreis.

Die Selbstermächtigung der EZB führt dazu, dass die Null- und Negativzinsphase im Euro-Raum weitergeht. Die Zentralbank heizt damit die nächste monetäre Krise an, von der sie behauptet, sie könne sie verhindern. Wenn diese Krise kommt, und angesichts des Abschwungs der Konjunktur in der Euro-Zone könnte das schon bald sein, wird sie ihr Pulver verschossen haben. Der absehbare nächste Schritt in die monetäre Hölle sind dann Negativzinsen auf Privatkonten, um den Zusammenbruch der Kreditpyramide hinauszuschieben.

Dabei wird den Zentralbanken, in der EU wie in den Vereinigten Staaten, die Existenz von Bargeld, das sich ihrer Kenntnis und ihrer Kontrolle entzieht, immer mehr zum Ärgernis. Seit Jahren fordern Banker und Ökonomen seine Abschaffung unter dem Vorwand des Kampfes gegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche. Die digital hochgerüsteten Waffenschieber, Drogenhändler und Terroristen beeindruckt das nicht, aber je weniger Bargeld es gibt, desto leichter wird der Zugriff auf unsere Ersparnisse. Der 500-Euro-Schein wird schon nicht mehr gedruckt. In den USA diskutiert man über die Abschaffung der 100-Dollar-Note. Immer mehr Länder senken die Höchstgrenzen für Bargeldtransaktionen. Bankomat-Gebühren sind ein weiterer Anreiz, statt Papiergeld elektronisches Geld zu nützen.

Die Flucht in das Bargeld soll blockiert werden

Aber gegen die Abschaffung des Bargeldes gibt es Widerstand. Die langen Schlangen vor den griechischen Bankomaten während der Eurokrise sind noch allzu gut in Erinnerung. Einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zufolge hat sich die Anzahl der umlaufenden 100-Dollar-Noten seit der Finanzkrise sogar verdoppelt. Sollten die Zentralbanken die Null-Prozent-Grenze durchbrechen, würden noch mehr Banknoten gehortet werden. Ein Negativzinssatz von fünf Prozent hieße zum Beispiel, dass 100 Euro auf dem Konto nach einem Jahr nur noch 95 Euro wert sind. Sparer würden sich in diesem Fall ihre Guthaben auszahlen lassen und die Scheine unter die Matratze legen, so unfein das auch sein mag. Die würden durch die Inflation zwar weiter an Wert verlieren, aber wenigstens dem Negativzins könnten sie auf diese Weise entkommen.

Ökonomen der EZB und des IWF überlegen sich daher, wie man die Flucht ins Bare blockieren kann. Gedacht wird an eine Abwertung des Papiergeldes in der Höhe des Negativzinses. Wer in unserem Beispiel nach einem Jahr seinen 100 Euro-Schein unter der Matratze hervorholen würde, um eine Überweisung durchzuführen, bekäme von der Bank nur noch 95 Euro gutgeschrieben. Man könnte dann zwar Dollar oder Schweizer Franken bunkern, und Großinvestoren werden zweifellos immer noch Möglichkeiten finden, ihr Geld gewinnbringend anzulegen. Aber der Weg zur monetären Enteignung der von der bisherigen Nullzins-Politik der EZB bereits schwer geschädigten kleinen Sparer ist vorgezeichnet.

Mario Draghis Mandat endet definitiv im Oktober 2019. Manche hoffen, dass ihm Jens Weidmann nachfolgen werde, der Chef der deutschen Bundesbank. Wie hoch Weidmanns Chancen sind, wird sich frühestens nach den EU-Wahlen und der Kür des neuen Präsidenten der Europäischen Kommission zeigen. Die Gefahr, dass Draghis Geldpolitik ihren Urheber überlebt, ist jedenfalls real.

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