„Die liberale Tradition ist in Frankreich noch immer existent“ – Interview mit Cécile Philippe

Ob Jean-Baptiste Say, Frédéric Bastiat oder Gustave de Molinari – an prägenden liberalen Vordenkern und Ökonomen fehlt es in Frankreichs Geschichte nicht. Nur scheint im heutigen Frankreich vom einstigen Liberalismus nicht mehr viel übrig geblieben zu sein – zumindest auf den ersten Blick. Der französische Zentralismus, an den sämtliche maßgebliche Politiker Frankreichs bis heute glauben, verkörpert geradezu das Gegenmodell zu einer liberalen Ordnung. Manche fragen sich verwundert, wie es in Frankreich so weit kommen konnte.

„Die liberale Tradition ist noch immer existent“, unterstreicht demgegenüber Cécile Philippe, Gründungsdirektorin des Institut économique Molinari. Allerdings hätten der Deutsch-Französische Krieg und die beiden Weltkriege weitreichende Folgen, unter anderem auf die Finanzierung des französischen Wohlfahrtsstaats und auf den Niedergang der Ökonomie, gehabt. Auch im heutigen Frankreich setzen sich Intellektuelle öffentlich für den freien Markt ein. Cécile Philippe ist selbst eine von ihnen. Ihr liberaler Think-Tank „Institut économique Molinari“ versorgt die französische Öffentlichkeit regelmäßig mit Studien über wichtige Herausforderungen in Frankreich und entwickelt Reformvorschläge. Im Interview mit dem Austrian Institute spricht Philippe über Geschichte und Gegenwart des französischen Liberalismus, über nötige Reformen des Wohlfahrtsstaats und über Staatspräsident Emmanuel Macron.

Cécile Philippe hat an der Paris-IX Dauphine Universität in Wirtschaftswissenschaften promoviert und darüber hinaus ein Diplom in Advanced Studies in Business Management. Zu ihren Lehrern gehörte unter anderem der bedeutende französische Ökonom Pascal Salin. Nachdem sie beim Mises Institute (Alabama) in den Vereinigten Staaten ihre Doktorarbeit beendet hatte, gründete sie 2003 das „Institut économique Molinari“, das sie bis heute leitet.

Cécile Philippe wird regelmäßig vom französischen Radio und Fernsehen interviewt. Sie ist darüber hinaus Autorin zahlreicher französischer und englischer Zeitungsartikel. Im Jahr 2007 erschien ihr Buch „C’est trop tard pour la terre“ („Es ist zu spät für die Erde“), in dem sie sich mit Umweltfragen befasst und verschiedene Mythen entkräftet, darunter die Vorstellung, dass Regulierung und Besteuerung Hand in Hand mit einer Verbesserung des Umweltschutzes gehen. Ihr nächstes Buch „Trop tard pour la France? Osons remettre l’État à sa place“ („Zu spät für Frankreich? Wagen wir es, den Staat wieder in seine Schranken zu weisen“) befasst sie sich mit der Finanzkrise und der Rolle, die der Staat in unserem Leben spielt.


Frankreich hat viele bedeutende liberale Denker hervorgebracht, vor allem im 19. Jahrhundert. Heute gilt Frankreich als besonders illiberal. Wie kam es dazu?

Cécile Philippe: Das ist eine komplizierte Geschichte. Der Liberalismus war vor allem in den 1850er und 1860er Jahren in Frankreich sehr erfolgreich. Damals, in der Zeit Napoleons III., wurden viele Ideen über den freien Markt verbreitet. Diese erfolgreichen Jahre endeten mit dem unklugen Deutsch-Französischen Krieg (1871 bis 1971), den Frankreich zuerst begann und dann verlor. Später folgten der Erste und der Zweite Weltkrieg. Erst in jüngerer Zeit habe ich festgestellt, welche Zerstörungskraft diese beiden Weltkriege hatten, nicht nur in materieller, sondern ebenso in intellektueller Hinsicht. Danach wurden viele Entscheidungen aufgrund dieser beiden Weltkriege gefällt. Die Ersparnisse der Menschen wurden komplett zerstört, was Folgen dafür hatte, wie wir seither unseren Wohlfahrtsstaat finanzieren. Darüber hinaus waren nach 1945 die Kommunisten sehr stark.

Wie steht es heute um die liberale Tradition in Frankreich?

Sie ist noch immer existent. Es gibt nach wie vor bedeutende klassisch Liberale wie Pascal Salin, Henri Lepage, Gérard Barmoullé und andere Intellektuelle, die öffentlich für den freien Markt eintreten. 1977 gründete der Ökonom Jacques Garello die Gruppe der „Nouveaux Économistes“. Sie bestand aus interessanten Professoren, die spannende Seminare in Aix-en-Provence durchführten. Diese Gruppe versuchte auch eine Zeitlang das berühmte „Journal des économistes“ (1841-1940) zu reaktivieren.

Speziell in den 1980er Jahren, nachdem François Mitterrand – für viele ein Kommunist – zum Staatspräsidenten gewählt worden war, haben sich viele sehr produktive liberale Denker öffentlich eingebracht. Auf einmal wurde viel Geld in die neue Bewegung für den freien Markt gesteckt, die damals einen ungeheuren Aufschwung erlebte. Wegen Mitterand gab es das Gefühl eines Notfalls und das brachte Intellektuelle, Geschäftsleute und Politiker zusammen. Es formierte sich Widerstand gegen Mitterand. Schlussendlich war die ökonomische Situation so schlecht, dass Mitterand einiges von dem, was er vorhatte, wieder rückgängig machen musste. Ende der 1990er Jahre hatte ich das Glück einige der in Paris organisierten Seminare zu besuchen und so lernte ich die Österreichische Schule der Nationalökonomie besser kennen.

Gemäß einer kürzlich erschienen Umfrage der Zeitung „L’Opinion“ sind 57 Prozent der Franzosen positiv zum Liberalismus eingestellt. Auch bei der Jugend wird der Liberalismus den Umfragen zufolge positiv gesehen. Dennoch: So wie in anderen Ländern hat auch in Frankreich der Etatismus im 20. Jahrhundert gesiegt. Ich denke, die beiden Weltkriege haben eine wichtige Rolle im Hinblick auf den Niedergang der Ökonomie in Frankreich gespielt, und sie hatten zahlreiche Auswirkungen auf den Staat und unser Wohlfahrtssystem. Heute können sich die Menschen nicht mehr vorstellen, wie der Staat anders organisiert werden könnte.

Gibt es heute in Frankreich noch andere Institutionen als die Ihre, die den Liberalismus unterstützen?

Es gibt nicht viele Institute, die offen die Ideen des freien Marktes verteidigen. Sie alle leisten aber gute Arbeit. Zu ihnen gehören iFRAP, IREF, Institut Sapiens oder GenerationLibre. An den Business Schulen unterstützt eine neue Generation von Professoren den freien Markt. Besorgniserregend ist aber, wie schwer es für uns alle ist Geld, zu beschaffen. Ich habe versucht, die Zahlen zu ermitteln, und ich wäre nicht überrascht, wenn die Think-Tanks für den freien Markt in Frankreich insgesamt ein Spendenaufkommen von allerhöchstens 10 Millionen Euro haben. Für ein großes Land wie Frankreich ist das problematisch, vor allem wenn man bedenkt, dass öffentliche Think-Tanks wie OFCE allein mehr als rund 4 Millionen Euro vor allem an Subventionen erhalten. Unsere Organisationen sind klein und zerbrechlich. Das Fundraising hier ist hart und nicht so weit entwickelt. Kein Vergleich mit den USA oder nicht einmal mit Kanada. Besorgniserregend ist auch, dass die jungen Menschen zunehmend zu den Extremen tendieren – ob links oder rechts. Das zeigte sich bei der letzten Wahl im Jahr 2017.

Wie kamen Sie mit dem Gedankengut des Liberalismus in Berührung?

Einige liberale Ideen zogen mich sehr stark an. Eine Initialzündung in meiner Jugend war der Film „Ein Mann wie Sprengstoff“ (1949, Verfilmung eines Romans von Ayn Rand). Das Zeugnis des Anwalts, von dem dieser Film handelt, vor allem was er über Freiheit und das Individuum sagt, war so eindrücklich, dass ich es nachher aufgeschrieben habe.

Gegen Ende meines Universitätsstudiums wurde Pascal Salin mein Lehrer und so lernte ich die Österreichische Schule der Nationalökonomie kennen. Ich hatte gedacht, es würde mein letztes Studienjahr werden, stattdessen wurde es das erste von fünf weiteren Studienjahren. Ich hatte vorher Keynesianische und neoklassische Ökonomie studiert und war von beiden sehr enttäuscht. Ich wollte immer verstehen, was passiert und mein Zugang war dabei der Realismus – in der Ökonomie wie in der Philosophie. Deshalb lese ich gerade Isaiah Berlin. Als Salin mein Lehrer wurde, konnte ich nicht aufhören: Ich wollte unbedingt noch dazulernen. So machte ich den Master und widmete mich danach dem Ph.D. Ich wurde vom Mises Institute in Alabama eingeladen um meinen Ph.D. dort fortzuführen. Dort beschloss ich auch, einen Think-Tank in Frankreich zu gründen, nachdem ich erlebt hatte, wie das in den USA läuft. Das war natürlich eine total verrückte Idee. Ich wusste damals nicht, dass die Ausgangslage in Frankreich eine ganz andere ist. Ich dachte: Ich kopiere das ganz einfach, dabei hatte ich weder Geld noch Kontakte. Das ist mittlerweile 15 Jahre her. Für das Fundraising muss man viel Networking betreiben und das kostet Zeit. Darüber hinaus musste ich damit umgehen, dass ich Mutter von zwei Kindern wurde. Man muss auf jeden Fall geduldig sein und man lernt auch, es zu sein, obwohl es nicht leicht ist.

Das Institut économique Molinari (IEM) ist eine Forschungs- und Bildungsorganisation. Ihr Ziel ist es, von einem ökonomischen Standpunkt aus die öffentliche Ordnung zu verstehen und diese wirtschaftswissenschaftliche Herangehensweise einer möglichst großen Anzahl von Menschen zugänglich zu machen. Das Institut wurde nach dem französisch-belgischen Ökonom Gustave de Molinari benannt, der selbst ein Leben lang daran gearbeitet hat, diesen Ansatz zu fördern. Das IEM will Freiheit und wirtschaftliche Verantwortung fördern und zur Entstehung eines Konsenses zugunsten der wirtschaftlichen Freiheit beitragen. Es ist eine gemeinnützige Organisation, die durch die freiwilligen Beiträge ihrer Mitglieder – darunter Einzelpersonen wie Unternehmen – finanziert wird.

Das Institut Èconomique Molinari veröffentlicht Studien über die ökonomische Situation und nötige Reformen in Frankreich.

Genau. Anfangs befand sich das Institut in Brüssel und ich lebte in Brüssel für einige Jahre. Damals konzentrierten wir uns mehr auf EU-Themen. Doch dann verlagerte sich der Fokus zunehmend auf Frankreich. Hier konnten wir eine große Expertise aufbauen. In Frankreich fehlt ein elementares Verständnis für Ökonomie, sei es nun im Hinblick auf die Auswirkungen von Steuern, sei es über Verhältnis von dem, was man selber hat und was der Staat bekommt, etc. Wir versuchen diese Zusammenhänge verständlich darzustellen. Deshalb haben wir mit Studien begonnen. Vor zehn Jahren führten wir eine umfangreiche Studie über Steuern und soziale Belastungen im EU-Vergleich durch. Das war ein immenser Erfolg. Es wurde klar: Wir waren das schlimmste Land der EU im Hinblick auf Steuerbelastung und Schuldenpolitik. Die Politik änderte sich nachher. Heute verstehen viele Menschen: Was auch immer der Lohn ist, den sie von ihrem Arbeitgeber erhalten: Letzterer muss auf Kosten dieses Lohnes auch sämtliche Abgaben an den Staat bezahlen.

Diesen Weg setzen wir seither fort, damit die Menschen immer besser verstehen, warum Schulden auf Dauer schlecht sind, warum der Staat oft die wirtschaftliche Dynamik schwächt und anderes mehr. So können wir auch einige weit verbreite Fehlinformationen korrigieren und die Wahrnehmungen ändern.

Auf welche Themen legen Sie nun Ihren Schwerpunkt?

Wenn Sie mich fragen, was das wichtigste ist, was die Regierung jetzt angehen soll, dann würde ich sagen: die Reorganisation und Änderung der Finanzierung unseres Wohlfahrtssystems. Das ist ein komplexes Thema. Unser gesamtes Pensionssystem basiert auf einem Umlageverfahren. Ausschließlich jene, die arbeiten, bezahlen die jetzigen Pensionen. Das hat negative Folgen für den Arbeitsmarkt. Darüber hinaus werden die Menschen immer älter. Das Pensionssystem verschlingt Unsummen. Den jetzt arbeitenden Menschen, die das alles finanzieren, wird in der Öffentlichkeit vermittelt, sie würden damit ein Recht auf ihre Pension erwerben. Das stimmt zwar, aber der Nutzen dieser Rechte wird zunehmend verringert. Allmählich realisieren die Menschen, dass sie immer weniger für das kriegen, was sie einzahlen. Vor allem die jungen Menschen werden sich allmählich bewusst, dass sie nie so viel zurückkriegen werden, wie sie heute einzahlen.

Wir erleben jetzt genau das, was am Beginn des 20. Jahrhunderts den liberalen Denkern Sorgen bereitete: Das Kosten/Nutzen-Verhältnis der staatlichen Dienstleistungen wird immer schlechter. Dieses Verhältnis ist heute nicht gut: Das Wohlfahrtssystem kostet die Menschen mehr, als sie dafür zurückbekommen. Eine Reform des Pensions- und auch des Gesundheitssystem ist daher meiner Meinung nach am dringendsten.

Wie ist das heutige System entstanden?

Vor 100 Jahren wurde die Wohlfahrt noch rein privat finanziert. Wir hatten hier – und haben teilweise noch bis heute, trotz der starken Einmischung des Staates – Wettbewerb: Arbeiter und Angestellte organisierten sich selbst, es entstanden Non-Profit-Organisationen, die Pensionen, Gesundheitsvorsorge, Arbeitslosengeld etc. sicherstellten. Während des Zweiten Weltkriegs wurden sie verstaatlicht. Es gibt aber kleine Non-Profit-Organisationen, die bis heute überlebten. Deshalb funktioniert das Gesundheitssystem noch immer besser, weil es auf der Angebotsseite trotz des Monopols auf der Versicherungsseite so viel Wettbewerb gibt. Auch beim Pensionssystem gibt es noch kleine Organisationen, die zum Beispiel die Pensionen der Anwälte organisieren.

Fakt ist: Das System funktioniert nicht mehr richtig und wird falsch finanziert. Die Regierung versucht nun mit einer Pensionsreform alles besser zu organisieren. Sie arbeitet in Richtung mehr Zentralisierung. Das ist ein Fehler.

Wie sieht Ihr Reformvorschlag aus?

Wir fordern ein Kapitalumlageverfahren als zusätzliche Säule wie in der Schweiz, in den USA und in vielen anderen entwickelten Ländern. Das Umlageverfahren hat viele Nachteile im Hinblick auf Demographie, Arbeitsmarkt und anderes. Wer hingegen Geld spart und investiert, wird in 40 Jahren sehr viel mehr Geld besitzen. Dazu gibt es Zahlen. Wer 30 Cent investiert, kriegt 40 Jahre später einen Euro. Man kann also wirklich Geld für die eigene Pension ansparen, wenn man diese weitere Säule hinzufügt. Wir halten diese Reform für die beste.

Die aktuelle Reform will, dass die Menschen erkennen, dass das System nicht nachhaltig ist. Dies ist ein wichtiger Schritt, aber er ist nicht ausreichend, denn man kann den Menschen nicht eine Reform verkaufen, indem man ihnen sagt, dass sie weniger bekommen werden, gleichzeitig aber genauso viel wie bisher einzahlen müssen. So verbessert man auch nicht die Zukunft der Menschen. Dass wir dieses System darüber hinaus über unsere berufliche Arbeit finanzieren, hat Rückwirkungen auf die Art, wie der Arbeitsmarkt funktioniert. Deshalb müssen die Pensionen künftig billiger finanzierbar sein. Wir versuchen ein Modell zu verteidigen, das nachhaltiger und großzügiger ist.

Aber unabhängig davon, ob das jetzige System beibehalten oder ein anderes eingeführt wird: Das Pensionsalter wird in jedem Fall angehoben werden müssen.

Ja sicher, das ist sehr wahrscheinlich, aber auch hier gilt: Man kann von den Menschen ja nicht verlangen, dass sie länger arbeiten sollen, wenn das System so fragil und nicht überlebensfähig ist. Man muss das System diversifizieren.

Über Aktien- und Fondsanlagen?

Exakt. Über einen 40-jährigen Zeitraum ist es viel billiger, die eigenen Pensionen über Aktien- und Fondsanlagen zu finanzieren. Wenn man einen Teil seines Beitrags für die eigene Pension anspart, dann muss man am Anfang des Berufslebens Aktien kaufen, die man am Ende, wenn man in den Ruhestand eintritt, in Anleihen umwandeln wird. Damit gibt so viele Erfahrungen, dass die Menschen keine Angst davor zu haben brauchen.

Welche Best-Practice-Beispiele fallen Ihnen ein?

Die Niederlande sind natürlich ein erfolgreiches Beispiel, aber es gibt noch andere, etwa die Schweiz, teilweise auch die USA. Auch in Dänemark ist das Pensionssystem mehr diversifiziert, wenn auch staatsbasiert.

Wir sammeln gerade Geld für eine umfassende Publikation mit allen Reformvorschlägen für Frankreich. Bisher habe ich viel mehr über die Gesundheitsversorgung als über Pensionen geschrieben. Die wichtigste Idee ist mehr Geld anzulegen, damit das System nachhaltiger und robuster, und billiger und besser wird. Andernfalls ist alles, was wir den Franzosen anbieten können, ein fortschreitender Niedergang: Sie werden immer mehr zahlen und dafür immer weniger kriegen.

Gibt es französische Politiker, die eine liberale Politik vertreten?

„Emmanuel Macron glaubt an die Zentralisierung“, unterstreicht Cécile Philippe. Fotocredit: Foundations World Economic Forum

François Fillon hatte einige sehr gute Punkte in seinem Programm, nur ist seine politische Karriere jetzt zu Ende, er hat die Politik verlassen. Zurzeit sehe ich niemanden mit liberalen Ideen in Frankreich. Nur sehr wenige Menschen diskutieren eine tiefgreifende und robuste Reform des Wohlfahrtssystems. Als Emmanuel Macrons Partei vor zwei Jahren ihr politisches Programm verfasste, meinte einer von Macrons engsten Beratern, dass das Pensionssystem absolut nachhaltig sei. Das war höchst erstaunlich, denn tatsächlich war es schon in den 1990er Jahren nicht mehr nachhaltig. Doch erst jetzt kommt die Regierung drauf, dass es nicht nachhaltig ist und viel zu viel Geld kostet. Wegen des teuren Pensionssystems kann der Staat auch andere Dinge nicht finanzieren. Es ist merkwürdig, dass man auf der Grundlage solch falscher Informationen agiert.

Wie schätzen Sie Macron politisch ein?

Wenn mich wer fragt, ob Macron der Befürworter des freien Markts ist, den wir brauchen, dann antworte ich: Nein. Macron glaubt an die Zentralisierung. Er hat zwar mittlerweile auch die Subsidiarität entdeckt oder spricht zumindest von ihr, doch ich bezweifle, dass er überhaupt ihre Bedeutung versteht. Die französischen Politiker glauben noch immer sie seien Experten um die perfekte staatliche Lösung zu finden, die alles vereinheitlicht und harmonisch miteinander koordiniert. Ich lehne das vollständig ab. Wie Hayek und andere glaube ich, dass es sehr schwierig ist, verschiedene Werte von oben her zu koordinieren: Es ist nötig, die lokale Situation der Menschen und ihrer Präferenzen zu kennen. Nur so kann man ihre Konflikte lösen. Doch in diese Richtung bewegen wir uns nicht, auch nicht Macron. Auch er glaubt an die „Weisheit des Staates“ und das ist aus meiner Sicht sein Hauptproblem. Die Idee, dass alles vom Staat gelöst werden soll, ist sehr gefährlich. Auch die Gelbwestenbewegung will Probleme nicht auf lokaler Ebene lösen.

Es scheint, als wäre die Gelbwestenbewegung zunächst durch einen Aufschrei der Mittelschicht entstanden, weil diese durch Benzinsteuern belastet wurde, doch nun von linken Extremisten übernommen wurde.

Genauso ist es. Am Anfang waren Personen der Mittelschicht empört. Die ökonomische Situation kombiniert mit neuen Steuern hatte das Fass zum Überlaufen gebracht. Doch das änderte sich. Heute gehören nicht mehr viele Leute der Bewegung an. Es sind nur mehr ein paar und die rufen nach Gewalt und Zerstörung.

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